: Simon Strauß
: Römische Tage
: Tropen
: 9783608191448
: 1
: CHF 7.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Sommer in Rom Ein junger Mann kommt in die ewige Stadt, um die Gegenwart abzuschütteln. Er sucht einen eigenen Weg, fühlt fremde Zeiten in sich leben. In Rom erinnert er sich. In Rom verliebt er sich. In Rom trauert er. Er trifft auf außergewöhnliche Menschen und findet seine Aufgabe: Alles wahrnehmen, nichts auslassen. Römische Tage führt zu den vielen Anfängen und Enden unserer Welt und fragt, was wir morgen daraus machen. Der Erzähler zieht in eine Wohnung schräg gegenüber der Casa di Goethe und die Stadt wird ihm zur Geliebten. Ihre Geschichten spielen vor seinem Auge: Der Mord an Caesar am Largo Argentina ist ihm genauso lebendig wie das Gerangel der Sonnenbrillenverkäufer auf dem Corso. Er taucht ein in eine Welt voller Gegensätze: die Verlorenheit der jungen Italienerinnen und die schwindende Bedeutung der alten Intellektuellen. Antike und moderne Ideale, leuchtende Paläste, ausgelassene Partys und vergehende Kunst. Einheimische, Migranten, Gläubige, Touristen, Bettler. Zwischendrin Müll, viel Müll. Und immer wieder das Stechen in seiner Brust, das die Ärzte nicht ernst nehmen wollen. Begeistert und melancholisch, leichtfüßig und ergreifend erzählt Simon Strauß, warum Gegenwart nicht ohne Vergangenheit auskommt. Die Presse über Simon Strauss »Die Stimme einer Generation« Maria Wallner, Die Presse   »Strauß hat einen schönen eigenen Tonfall, der das Zeitgenössische in sich trägt, ohne damit protzen zu wollen, der aber dennoch auch den Sound der Väter kennt, der aus großen Bildungstiefen kommt und sich dafür auch manchmal selbst verachtet und dann zu großer Lakonie und schlichter Sinnlichkeit findet.« Florian Illies, Die Zeit   »Strauß ist eine der größten feuilletonistischen Begabungen seiner Generation, und so bildstark und imaginativ er hier schreibt, hat er ein genuin literarisches Talent.« Gregor Dotzauer, Tagesspiegel   »Die Kraft mit der Simon Strauß sprachliche Bilder zeigt, ist hin- und damit auch mitreißend!« ZDF aspekte   »Simon Strauß trifft die Realität einer gebildeten, privilegierten, jungen Generation, durch die sich Schmerz und Zweifel ziehen, obwohl oder gerade weil es ihr an nichts fehlt«.  Sara Maria Behbehani, Stuttgarter Zeitung

Simon Strauß, geboren 1988, studierte Altertumswissenschaften und Geschichte in Basel, Poitiers und Cambridge. Er ist Mitgründer der Gruppe »Arbeit an Europa«. 2017 promovierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lebt in Frankfurt und Berlin, ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zuletzt erschienen von ihm Sieben Nächte (2017),  Römische Tage (2019) und Zu Zweit (2023).

AM MORGEN BEIM ARZT GEWESEN. Der Sprechstundenhilfe in holprigem Italienisch vom rasenden Puls erzählt. Im Wartezimmer sitzen alte fiebrige Damen und junge schwarze Männer mit Pockennarben im Gesicht. Statt Lautsprecheransagen gibt es eine Schwester mit Trillerpfeife, die pfeift und dann die Namen aufruft, die sie meist sowieso nicht richtig aussprechen kann, und also lieber noch lauter pfeift und leiser ansagt. Die Finger des Arztes riechen nach Knoblauch, in seinem Bart hängen Reste von Zigarettenasche. Er tastet mich ab an Hals und Beinen, lässt mich tief Atem holen und den Rücken beugen. Vom Fenster hinter seinem überfüllten Schreibtisch sieht man direkt in den Hof eines Gefängnisses, gerade haben die Häftlinge Ausgang und marschieren wie Gänse an den Wärtern vorbei. Wie bei Beckett, denke ich, der aus seiner Pariser Wohnung ja auch auf die Santé geblickt hat, das städtische Gefängnis, in dessen Hof lange Zeit noch eine Guillotine stand. Bei offenem Fenster konnte er in seinem Arbeitszimmer den Tumult der Gefangenen hören und das Geräusch der schweren Türen, wenn sie abends ins Schloss fielen. In Becketts Wohnung fühlte man sich wie im Haus eines Türmers, so beschrieben es später Besucher: »Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt.«

Der Arzt gibt mir eine Spritze in den Rücken. Warum, verstehe ich nicht. Aber er lächelt freundlich und klopft mir auf die Schulter. Der Puls wird ruhiger, und ich laufe wieder hinaus in die sengende Hitze.

Als ich mit sechzehn in Neuseeland war und nicht schlafen konnte, weil sie mir wieder den ganzen Abend lang den Hitlergruß gezeigt hatten, diese ekelhaftenfarming boys, mit denen ich in einem Schulhaus wohnte, versuchte ich, ganz nah an die Wand zu rücken und meinen Atem zu hören. Nur wenn man wirklich leise ist und genau hinhört, klappt das. Dann zieht einem auf einmal ein kühler Hauch über das Gesicht und schließt beide Augen. Vielleicht hat die Geschichte ihre eigene Zeit, vielleicht kann man sie gar nicht mit Kalender oder Uhr messen. In Rom jedenfalls zählen n