AM MORGEN BEIM ARZT GEWESEN. Der Sprechstundenhilfe in holprigem Italienisch vom rasenden Puls erzählt. Im Wartezimmer sitzen alte fiebrige Damen und junge schwarze Männer mit Pockennarben im Gesicht. Statt Lautsprecheransagen gibt es eine Schwester mit Trillerpfeife, die pfeift und dann die Namen aufruft, die sie meist sowieso nicht richtig aussprechen kann, und also lieber noch lauter pfeift und leiser ansagt. Die Finger des Arztes riechen nach Knoblauch, in seinem Bart hängen Reste von Zigarettenasche. Er tastet mich ab an Hals und Beinen, lässt mich tief Atem holen und den Rücken beugen. Vom Fenster hinter seinem überfüllten Schreibtisch sieht man direkt in den Hof eines Gefängnisses, gerade haben die Häftlinge Ausgang und marschieren wie Gänse an den Wärtern vorbei. Wie bei Beckett, denke ich, der aus seiner Pariser Wohnung ja auch auf die Santé geblickt hat, das städtische Gefängnis, in dessen Hof lange Zeit noch eine Guillotine stand. Bei offenem Fenster konnte er in seinem Arbeitszimmer den Tumult der Gefangenen hören und das Geräusch der schweren Türen, wenn sie abends ins Schloss fielen. In Becketts Wohnung fühlte man sich wie im Haus eines Türmers, so beschrieben es später Besucher: »Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt.«
Der Arzt gibt mir eine Spritze in den Rücken. Warum, verstehe ich nicht. Aber er lächelt freundlich und klopft mir auf die Schulter. Der Puls wird ruhiger, und ich laufe wieder hinaus in die sengende Hitze.
Als ich mit sechzehn in Neuseeland war und nicht schlafen konnte, weil sie mir wieder den ganzen Abend lang den Hitlergruß gezeigt hatten, diese ekelhaftenfarming boys, mit denen ich in einem Schulhaus wohnte, versuchte ich, ganz nah an die Wand zu rücken und meinen Atem zu hören. Nur wenn man wirklich leise ist und genau hinhört, klappt das. Dann zieht einem auf einmal ein kühler Hauch über das Gesicht und schließt beide Augen. Vielleicht hat die Geschichte ihre eigene Zeit, vielleicht kann man sie gar nicht mit Kalender oder Uhr messen. In Rom jedenfalls zählen n