: Edgar Wallace
: Die drei von Córdoba
: Null Papier Verlag
: 9783954183302
: Edgar Wallace bei Null Papier
: 2
: CHF 0,90
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 274
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die drei Gerechten jagen Verbrecher, die der Justiz entkommen sind. Sie sind Richter und Henken in einem. Ihr nächstes Ziel ist Mr. Black, ein Mann, der schon vieles auf dem Kerbholz hat: Erpressung, Diebstahl und Mord. Aber Black nimmt die Warnungen nicht ernst - sein Fehler. Spannend von der ersten bis zu letzten Zeile, nach bester britischer Krimitradition. Null Papier Verlag

Am 1. April 1875 wird Richard Horatio Edgar Wallace in London geboren. Seine leiblichen Eltern, ein unverheiratetes Schauspielerpaar, geben das Kind zur Adoption frei. Weshalb sich ausgerechnet der Fischhändler George Freeman entschließt, den Säugling als Sohn aufzunehmen? Wer weiß... Allzu wohlhabend ist er jedenfalls nicht. Der kleine Dick Freeman nimmt schon im Alter von elf Jahren Gelegenheitsarbeiten an und wird sich während der ersten Jahre seines Erwerbslebens mehr schlecht als recht durchschlagen. Es dauert noch etwas, bis der Schulabbrecher zu jenem Mann wird, den das Publikum als Erfolgsautor kennt, wohlgenährt und mit einer Vorliebe für lange Zigarettenspitzen.

1


An ei­nem der Mar­mor­ti­sche des ›Café del Gran Ca­pitán‹ in Cór­do­ba saß ein Herr, der viel Zeit zu ha­ben schi­en. Er war von großer Ge­stalt und hat­te einen ge­pfleg­ten Bart. Die Bli­cke sei­ner erns­ten grau­en Au­gen schweif­ten schein­bar ab­sichts­los die Stra­ße ent­lang. Ab und zu nipp­te er an sei­nem Kaf­fee und trom­mel­te mit sei­nen schlan­ken wei­ßen Hän­den einen Wir­bel auf der Tisch­plat­te.

Er trug einen schwar­zen An­zug; sein gleich­falls schwar­zer Man­tel hat­te einen Samt­kra­gen. Die Kra­wat­te war von schwe­rer schwar­zer Sei­de, die gut­ge­schnit­te­nen Bein­klei­der wur­den durch Le­der­ste­ge un­ter den spitzaus­lau­fen­den Schu­hen ge­strafft, wie es in ge­wis­sen Krei­sen der Ca­bal­le­ros be­liebt war.

Er hät­te Spa­nier sein kön­nen, denn graue Au­gen traf man dort un­ten häu­fig an. Die aus­ge­las­se­nen Ir­län­der, die da­mals mit den Be­sat­zungs­trup­pen Wel­ling­tons ins Land ge­kom­men wa­ren, hat­ten sich ja gar nicht so sel­ten mit den feu­ri­gen Mäd­chen von An­da­lu­si­en ver­hei­ra­tet.

Er sprach ein ta­del­lo­ses Spa­nisch, und auch die Art, wie er den weh­lei­dig fle­hen­den Bett­ler be­han­del­te, der auf ihn zu­hum­pel­te und ihn mit aus­ge­streck­ten ver­krüp­pel­ten Fin­gern um ein Al­mo­sen bat, zeug­te von sei­ner süd­län­di­schen Ab­stam­mung.

»Im Na­men der Jung­frau und der Hei­li­gen und des all­mäch­ti­gen Got­tes fle­he ich Sie an, Señor, ge­ben Sie mir ein paar Cén­ti­mos.«

Der Herr an dem Tisch rich­te­te sei­ne Bli­cke auf die aus­ge­streck­te Hand.

»Gott wird dir hel­fen«, sag­te er dann in dem Küs­ten­ara­bisch, das in Spa­nisch-Marok­ko ge­spro­chen wird.

»Wenn mir der Him­mel ein Le­ben von hun­dert Jah­ren schen­ken soll­te«, er­wi­der­te der Bett­ler mit mo­no­to­ner Stim­me, »so will ich doch nie­mals auf­hö­ren, für Ihr Wohl zu be­ten.«

Der Herr in dem Man­tel be­trach­te­te jetzt den Al­ten.

Der Bett­ler war ein Mann von mitt­ler­er Grö­ße und hat­te scharf­ge­schnit­te­ne Ge­sichts­zü­ge. Sein Kopf war durch einen großen Ver­band ent­stellt, der auch das eine Auge be­deck­te. Sei­ne Füße wa­ren un­för­mi­ge Klum­pen, mit vie­len Ban­da­gen um­wi­ckelt. In sei­nen schmut­zi­gen Hän­den hielt er einen Stock.

»Señor«, wim­mer­te er, »ein paar Cén­ti­mos kön­nen mich von den schreck­li­chen Hun­ger­qua­len be­frei­en. Sie wer­den die­se Nacht kei­nen Schlaf fin­den, wenn Sie an den ar­men, kran­ken Greis den­ken, der sich hung­rig auf sei­nem La­ger wälzt.«

»Geh in Frie­den«, sag­te der vor­neh­me Herr ge­dul­dig.

»O Er­ha­be­ner«, seufz­te der Bett­ler wie­der, »bei dem Knäb­lein, das auf dem Schoß der Mut­ter ruh­te« – bei die­sen Wor­ten be­kreu­zig­te er sich –, »bei al­len Hei­li­gen und dem wun­der­tä­ti­gen Blut der Mär­ty­rer, ich fle­he Sie an, las­sen Sie mich nicht am Wege ver­hun­gern, wenn ein paar Cén­ti­mos, die Ih­nen nicht so­viel be­deu­ten wie der Rand un­ter dem Fin­ger­na­gel, mir den Ma­gen mit Es­sen fül­len könn­ten.«

Der Herr an dem Mar­mor­tisch ließ sich nicht er­schüt­tern; ru­hig trank er sei­nen Kaf­fee aus.

»Geh mit Gott«, sag­te er nur.

Aber der Alte zö­ger­te im­mer noch. Hilf­los sah er die Stra­ße auf und ab, dann blick­te er in den dunklen, küh­len Raum des Cafés. Am an­de­ren Ende saß ein Kell­ner nach­läs­sig an ei­nem Tisch und las den ›He­rol­do‹.

Der Bett­ler beug­te sich vor und streck­te lang­sam die Hand aus, um ei­ni­ge Ku­chenkrü­mel vom nächs­ten Tisch auf­zu­le­sen.

»Kennst du Dok­tor Ess­ley?« frag­te er plötz­lich in per­fek­tem Eng­lisch.

Der an­de­re schau­te nach­denk­lich auf.

»Nein, ich ken­ne ihn nicht. Wa­rum?« ent­geg­ne­te er in der glei­chen Spra­che.

»Du soll­test sei­ne Be­kannt­schaft ma­chen, er ist in­ter­essant.«

Wei­ter sag­te der Bett­ler nichts; er dreh­te sich um und schlurf­te lang­sam da­von.

Der vor­neh­me Herr be­ob­ach­te­te neu­gie­rig, wie er sich dem nächs­ten Café zu­wand­te. Dann klatsch­te er laut in die Hän­de. Der Kell­ner, der in­zwi­schen über sei­ner Zei­tung ein­ge­nickt war, fuhr in die Höhe und nahm die Zah­lung und das üb­li­che Trink­geld ent­ge­gen.

Ob­gleich sich der Him­mel wol­ken­los zeig­te und die Son­ne schi­en, war es in den blau­grau­en Schat­ten der Stra­ße noch emp­find­lich kalt in die­sen ers­ten Vor­früh­lings­ta­gen.

Der Herr er­hob sich vom Tisch, er­griff einen Zip­fel sei­nes fal­ti­gen Man­tels und warf ihn sich leicht über die Schul­ter. Dann ging er lang­sam hin­ter dem Bett­ler her.

Sein Weg führ­te ihn durch wink­li­ge Stra­ßen, die so eng wa­ren, daß die Wa­gen­na­ben tie­fe Rin­nen in die Mau­ern der Häu­ser ge­gra­ben hat­ten, wenn sich zwei Fuhr­wer­ke be­geg­net wa­ren.

In der Cal­le Pa­raí­so hol­te er den al­ten Mann ein; er ging an ihm vor­über und bog in eine der Gas­sen ein, die zu der San-Fer­n­an­do-Kir­che führ­ten. Ge­mäch­lich ging er dort hin­un­ter; dann wand­te er sich der Car­re­ra del Puen­te zu und ge­lang­te bald in den Schat­ten der Ka­the­dra­le, die ur­sprüng­lich als Mo­schee er­rich­tet wor­den war.

Un­ent­schlos­sen blieb er vor den of­fe­nen To­ren zu den Hö­fen ste­hen; er schi­en im Zwei­fel zu sein, wo­hin er sich wen­den soll­te. Schließ­lich dreh­te er sich um und ging zur Cala­hor­rabrücke hin­un­ter, die den Fluß mit ih­ren sech­zehn Bo­gen schnur­ge­ra­de über­spann­te. Sie stamm­te noch aus der Zeit der Mau­ren und war von die­sen er­baut. Als er die Mit­te der Brücke er­reicht hat­te, lehn­te er sich über das Ge­län­der und schau­te läs­sig auf die an­ge­schwol­le­nen gel­ben Flu­ten des Gua­dal­qui­vir hin­ab.

Heim­lich aber be­ob­ach­te­te er, wie der Bett­ler auf ihn zu­hum­pel­te. Es dau­er­te sehr lan­ge, denn der Alte kam nur lang­sam von der Stel­le. End­lich stand er an sei­ner Sei­te und hielt ihm die Hand ent­ge­gen. Sei­ne Hal­tung war die ei­nes ge­wöhn­li­chen Bett­lers, aber sei­ne Spra­che die ei­nes ge­bil­de­ten Eng­län­ders.

»Man­fred«, sag­te er ernst, »du mußt die­sen Ess­ley se­hen. Ich bit­te dich aus ei­nem ganz be­stimm­ten Grund dar­um.«

»Wer ist denn das?« Der Bett­ler lä­chel­te.

»Ich muß mich zum größ­ten Teil auf mein Ge­dächt­nis ver­las­sen. Die Biblio­thek in mei­ner arm­se­li­gen Woh­nung ist et­was be­schränkt. Aber ich habe die dunkle Erin­ne­rung, daß er Arzt in ei­ner Vor­stadt Lon­d­ons ist. Scheint ein klu­ger Kopf zu sein.«

»Und was macht er hier?«

Gon­sa­lez, der sich hin­ter der Mas­ke die­ses un­schein­ba­ren Bett­lers ver­barg, lä­chel­te wie­der.

»Hier in Cór­do­ba lebt ein Dok­tor Ca­ja­los. In die vor­neh­me Um­ge­bung des Pa­seo del Gran Ca­pitán, wo du dei­ne lu­xu­ri­öse Woh­nung hast, dringt na­tür­lich kein Gerücht aus der Un­ter­welt von Cór­do­ba. Hier«, – er zeig­te auf die bau­fäl­li­gen Dä­cher und die schmut­zi­gen, schie­fen Häu­ser am an­de­ren Ende der Brücke – »im Cam­po de la Ver­dad, wo die Leu­te mit zehn Pe­se­ten die Wo­che zu­frie­den le­ben kön­nen, kennt man den Dok­tor Ca­ja­los. Er wird in al­len Häu­sern und Fa­mi­li­en ver­ehrt – ein...