»Kommst du heute mit ins Kino, Christine?«
Christine Breuer, die die Hefte ihrer kleinen Schüler korrigierte, drehte sich zu Verena um. Ihre Freundin war gerade nach Hause gekommen.
»Tut mir leid, Verena, aber ich muß heute zu meiner Mutter hinüber. Sie möchte gern, daß ich die Sachen auf dem Boden durchsehe. Sie weiß nicht, was ich davon behalten will und was nicht.«
»Ach, und wie wäre es, wenn ich dir helfe und wir anschließend eine Pizza essen gehen?«
»Keine schlechte Idee.«
Christine merkte, daß Verena wieder einmal ganz schön erledigt war. Sie arbeitete im Sozialamt und betreute einen Kreis von Familien im Außendienst, mußte sie also regelmäßig besuchen und schauen, ob sie zurechtkamen. Natürlich waren besonders die Kinder aus diesen Familien belastet, und das wiederum belastete Verena, die sich bisher geweigert hatte, sich einen Panzer um ihre Gefühle zuzulegen.
»Ich korrigiere nur noch eben die restlichen Hefte. Guck mal, die kleine Alexandra hat mir Blümchen an den Rand gemalt.«
»Du bist ja auch eine gute Lehrerin. Die Kinder mögen dich eben.«
»Das ist bei dir doch nicht anders. Wie geht es denn der kleinen Josi?«
»Ach, das ist ein Trauerspiel. Ich weiß nicht, ob ihre Mutter sich wieder fängt. Sie nimmt immer noch Tabletten, und trinken tut sie bestimmt auch noch. Einen Entzug will sie nicht machen, weil sie dann ihre Arbeit verliert, sagt sie.«
»Deine Arbeit ist ganz schön hart. Ich glaube, das könnte ich nicht aushalten.«
»Ich auch nicht, du siehst es ja. Ich schlafe im Moment wahnsinnig schlecht.«
»Was soll man aber auch dagegen tun? Ich meine, mir gelingt es ja auch nicht, die Kinder und ihre Probleme nach Feierabend einfach zu vergessen. Dabei haben die wenigsten solche Probleme wie die Kinder, mit denen du zu tun hast.«
»Ich muß es aber lernen, das hinter mir zu lassen, wenn ich nach Hause komme. Ich bin schon ein richtiger Trauerkloß, sagt Daniel.«
»Daniel hat gut reden. Der bohrt ein bißchen in den Zähnen herum, verdient eine Menge Kohle und hat keine Ahnung von den Problemen, mit denen du zu tun hast.«
»Nun sei nicht so streng mit ihm, Christine. Er ist eigentlich ganz lieb.«
»Dann sollte er auch mehr Verständnis für dich haben. Willst du eigentlich zu ihm ziehen?«
»Noch nicht. Ich sage dir dann rechtzeitig Bescheid. Im Moment wohne ich lieber mit dir zusammen. Da brauche ich keine Entschuldigungen oder viele Worte, wenn ich groggy bin.«
Christine lächelte. Ihre Wohngemeinschaft mit der alten Kindergarten-Freundin Verena hatte als Notgemeinschaft begonnen und sich längst wunderbar bewährt. Verena hatte mit einem Freund zusammengelebt, der sie Knall auf Fall sitzengelassen hatte. Die Wohnung war für Verena zu groß und zu teuer gewesen, um sie allein zu behalten. Als sie Christine bei einem zufälligen Treffen davon erzählt hatte, war Christine selbst überrascht gewesen, als sie Verena ganz spontan das Angebot gemacht hatte, bei ihr einzuziehen. Bis dahin hatte sie noch zu Hause gewohnt – in der Doppelhaushälfte ihrer Eltern. Das war jetzt drei Jahre
her.
»Ich kann mir die Wohnung auch nicht allein leisten. Also bin ich natürlich nicht wild darauf, daß du zu Daniel ziehst. Aber ich will dir auch nicht im Wege stehen. Obwohl ich glaube, daß ihr nicht zusammenpaßt.«
Christine war immer sehr offen in ihren Äußerungen. Dafür schätzte Verena sie, wenn sie auch der Meinung war, daß Christine Daniel zu streng beurteilte. Christine wartete noch immer auf den ›Prinzen auf dem weißen Pferd‹, sie legte einfach zu hohe Maßstäbe an. Daran scheiterten ihre Beziehungen wohl auch immer wieder. Im Moment ging sie hin und wieder mit einem Kollegen aus,