: Ödön von Horváth
: Holger Bäuerle
: Geschichten aus dem Wiener Wald. Textausgabe mit Kommentar und Materialien [Reclam XL - Text und Kontext] - Horváth, Ödön von - 16141
: Reclam Verlag
: 9783159614663
: Reclam XL ? Text und Kontext
: 2
: CHF 4.90
:
: Deutsch
: German
: 178
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wien, Ende der 1920er Jahre: Marianne bricht aus der Verlobung mit dem Metzger Oskar aus, um mit dem Tunichtgut Alfred frei zu leben, von dem sie ein Kind bekommt. Es folgt ein sozialer und moralischer Abstieg. Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe »Reclam XL - Text und Kontext« erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts: * Reclam XL bietet den sorgfältig edierten Werktext - seiten- und zeilengleich mit der entsprechenden Ausgabe aus Reclams Universal-Bibliothek. * Das Format ist größer (12,2 x 20 cm) als die gelben Klassiker der Universal-Bibliothek, mit ausreichend Platz für Notizen am Seitenrand. * Schwierige Wörter werden am Fuß jeder Seite erklärt, ausführlichere Wort- und Sacherläuterungen stehen im Anhang. * Ein Materialienteil mit Text- und Bilddokumenten erleichtert die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht. * Natürlich passen auch weiterhin alle Lektüreschlüssel, Erläuterungsbände und Interpretationen dazu! E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

[7]Erster Teil


Vor einem Häuschen am Fuße einerBurgruine. Alfred sitzt im Freien und verzehrt mit gesegnetem Appetit Brot, Butter und sauere Milch – seine Mutter bringt ihm geradeein schärferes Messer.

In der Luft ist einKlingen und Singen – als verklänge irgendwo immer wieder der Walzer »Geschichten aus dem Wiener Wald« vonJohann Strauß.

Und in der Nähe fließt dieschöne blaue Donau.

DIE MUTTER

(sieht Alfred zu – plötzlich ergreift sie seine Hand, in der er das Messer hält, und schaut ihm tief in die Augen).

ALFRED

(stockt und starrt sie mit vollem Munde misstrauisch an. –Stille).

DIE MUTTER

(streicht ihm langsam über das Haar). Das ist schön von dir, mein lieber Alfred – dass du nämlich deine liebe Mutter nicht total vergessen hast, lieber Alfred –

ALFRED.

Aber wieso denn total vergessen? Ich wär ja schon längst immer wieder herausgekommen, wenn ich nur dazugekommen wär – aber heutzutag kommt doch schon keiner mehr dazu, vor lauterKrise und Wirbel! Wenn mich jetzt mein Freund, der Hierlinger Ferdinand, nicht mitgenommen hätt mit seinemKabriolett, wer weiß, wann wir uns wiedergesehen hätten!

DIE MUTTER.

Das ist sehr aufmerksam von deinem Freund, dem Herrn von Hierlinger.

ALFRED.

Er ist überhaupt ein reizender Mensch. In einer guten halbenStund holt er mich wieder ab.

[8]DIE MUTTER.

Schon?

ALFRED.

Leider!

DIE MUTTER.

Dann iss bitte nicht die ganze sauere Milch zusammen, ich hab sonst nichts dazum Antragen –

ALFRED.

Der Hierlinger Ferdinand darf ja gar keine sauere Milch essen, weil er einechronische Nikotinvergiftung hat. Er ist ein hochanständiger Kaufmann. Ich hab öfters mit ihm zu tun.

DIE MUTTER.

Geschäftlich?

ALFRED.

Auch das.

(Stille.)

DIE MUTTER.

Bist du noch bei der Bank?

ALFRED.

Nein.

DIE MUTTER.

Sondern?

(Stille.)

ALFRED.

Ich taug nicht zum Beamten, das bietet nämlich keine Entfaltungsmöglichkeiten. Die Arbeit im alten Sinnerentiert sich nicht mehr. Wer heutzutag vorwärts kommen will, muss mit der Arbeit der anderen arbeiten. Ich hab mich selbständig gemacht. Finanzierungsgeschäfte und so –(er verschluckt sich und hustet stark).

DIE MUTTER.

Schmeckts?

ALFRED.

Jetzt wär ich aber fast erstickt.

DIE MUTTER.

Ich freu mich nur, dass es dir schmeckt.

(Stille.)

ALFRED.

Apropos ersticken: wo steckt denn die liebe Großmutter?

DIE MUTTER.

Mir scheint, sie sitzt in der Küch und betet.

ALFRED.

Betet?

DIE MUTTER.

Sie leidet halt an Angst.

ALFRED.

Angst?

(Stille.)

DIE MUTTER.

Vergiss ihr nur ja nicht zu gratulieren – nächsten Monat wird sie achtzig, und wenn du ihr nicht gratulierst, dann hab ich hier wieder dieHöll auf Erden. Du bist doch ihr Liebling.