: Albrecht Gralle
: Die Braut des Bischofs: Historischer Roman
: Hallenberger Media Verlag
: 9783957641069
: 1
: CHF 4.40
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Ein Mädchen aus gutem Hause in Schwierigkeiten: Fiona kann die Gedanken anderer Menschen lesen.
Als der Stab des Petrus aus dem Domschatz verschwindet und ein Priester ermordet wird, gerät sie in die Mühlen zwischen Klerus und Kreuzrittern.
Zu allem Unglück will sich dann auch noch ihr Verlobter von ihr trennen, denn er will die geistliche Laufbahn einschlagen und wäre damit zur Ehelosigkeit verpflichtet.
Ein Abschiedskuss bringt sie nur noch mehr in Schwierigkeiten...
Ein spannender Roman aus dem mittelalterlichen Köln zur Zeit der Kreuzzüge.

Kapitel 1


Coln, im 39. Regierungsjahr Kaiser Heinrichs IV.

Anno Domini 1096

 

Baruch blickte von seinem Manuskript auf, als er das Klopfen hörte. Es war leise und kam aus der Richtung der Haustür. Jemand würde aufmachen. Gerade wollte er sich wieder der Stelle im Talmud zuwenden, wo Rabbi Jehuda erschrocken ausruft: »Weh mir, dass ich mein Brot einem Ungelehrten gegeben habe«, da klopfte es wieder, diesmal an seine eigene Zimmertür.

Er gab einen zustimmenden Laut von sich und sah, dass eine junge Frau den Raum betrat.

Rasch erhob sich Baruch, neigte den Kopf und sagte unwillig über die Störung: »Salve«. Zögernd wies er auf einen Hocker neben dem breiten Tisch, der mit Blättern und Büchern übersät war.

Als die Frau den Gruß erwidert hatte und sich setzte, trat fast geräuschlos hinter ihr ein Mann ins Zimmer, der sich ohne Kommentar in einer Ecke auf dem Boden niederließ.

Baruch räusperte sich und deutete halb entschuldigend auf die Gestalt am Boden: »Das ist Sadok«, meinte er auf Fränkisch. »Er ist immer dabei, wenn eine Frau mich besucht, denn es ist nicht gut, wenn ein Mann mit einer Frau allein ist.« Er grinste leicht über die Anspielung, die seine Besucherin nicht begriff, denn sie hob fragend ihre Augenbrauen.

»Eine kleine Abwandlung eines Satzes aus der Paradiesgeschichte. Aber das verstehst du vermutlich nicht. Ich vergesse immer wieder, dass nur die Gelehrten die Heiligen Schriften kennen.« Er lachte lautlos in sich hinein.

Die Frau blickte irritiert in die Ecke zu Sadok hinüber, der mit einem breiten Lächeln den Blick erwiderte und ihr freundlich zunickte.

»Es ist nicht gut«, sagte die junge Frau, »wenn noch jemand mithört. Denn was ich zu sagen habe ist …«

»Keine Angst.« Baruch lächelte und strich sich über den graumelierten Vollbart. »Sadok versteht nur sehr laute Schreie. Eine Unterhaltung in normaler Lautstärke bekommt er nicht mit.«

Während er redete, betrachtete der Jude seine Besucherin interessiert. Die Unterbrechung seiner gelehrten Arbeit schien ihm jetzt nicht mehr so viel auszumachen. Er schätzte die Frau auf siebzehn oder achtzehn. Sie war eine Nichtjüdin. Ihre dichten schwarzen Haare trug sie hochgesteckt und in einem Netztuch zusammengehalten. Ihr Gesicht war streng und regelmäßig geschnitten, schmal, von einer herben Schönheit. Ihre Haut schimmerte blass, als hätte sie in den letzten Nächten nicht viel geschlafen. Sie trug einen weiten Mantel aus dunkelblau gefärbtem Leinen, der, wenn er auseinanderklaffte, trotz seiner Fülle und Falten einen wohlgestalteten Frauenkörper darunter vermuten ließ.

Die vollen Lippen hatte die Besucherin zusammengepresst, als wollte sie verhindern, dass ihnen irgendwelche unvorsichtigen Worte entschlüpfen könnten.

»Nun, was führt dich zu mir, dem unbedeutenden Rabbi Baruch aus Coln?«

»Ihr seid nicht so unbedeutend, wie Ihr tut, Rabbi Baruch.« Ein feines Lächeln überzog das Gesicht der Fremden und verlieh dem sonst strengen Gesicht eine überraschende Schönheit. Dass dabei die Lücke des fehlenden linken Eckzahns sichtbar wurde, minderte die Schönheit kein bisschen. Ja, wenn man wollte, machte es sie sogar zerbrechlicher und kostbarer.

»Eure Weisheit und Einsicht hat sich in Coln herumgesprochen«, fuhr die junge Frau fort, »auch wenn einige seit neustem die Juden gering schätzen.«

»Nun, nun.« Rabbi Baruch schüttelte missbilligend den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »DasIhr undEuch kannst du dir übrigens sparen. Ich bin kein Bischof, der das für sein persönliches Wohlergehen braucht. Und schließlich reden wir alle Gott mit Du an. Du brauchst also ein Stück Weisheit von mir? Warum gehst du dann nicht zu einem Priester oder Diakon? Es gibt genügend davon in Coln! Die Stadt ist ja förmlich von einem Ring aus Kirchen umgeben. Warum ausgerechnet zu einem armseligen Juden, den der Allmächtige – gepriesen sei sein Name – mit ein wenig Weisheit begabt hat? Und warum sollte ich, ein Gelehrter, einer ungelehrten Frau einen Rat erteilen?«

Die Besucherin öffnete den Mund, sagte aber nicht sofort etwas, sondern schien nachzudenken.

»Ich bin nicht so ungelehrt wie Ihr denkt – lasst mich beimIhr bleiben«, begann sie nach ein paar Augenblicken. »Immerhin kann ich lesen und schreiben und mich zur Not auf Latein verständigen. Denkt nicht, Eure Weisheit sei an mir vergeudet. Was ich Euch fragen will, ist etwas … delikat, und ich möchte nicht, dass es seine Runde in Coln macht. Deshalb habe ich mich nicht an einen Priester gewandt, der mich ja doch erkennen würde, und bitte Euch inständig um Stillschweigen. Mein Name ist übrigens Fiona. Ich gehöre zur Familie de Ponte, die in der Nähe der Rhinbrücke einen der Türme bewohnt. Außerdem habe ich wenig Zeit. Niemand weiß, dass ich hier bin. Wie Ihr wisst, predigt auf dem Platz am Römerturm gerade ein Mönch namens Damian, der den nahen Weltuntergang ankündigt. Und in der allgemeinen Aufregung konnte ich mich davonstehlen. Meine Magd wird sicher ganz aufgelöst sein und mich überall suchen.«

Baruch nickte: »Ja, ich habe von diesem Mönch gehört und werde nachher selbst dorthin gehen. Man muss ja schließlich wissen, ob die Welt demnächst untergeht.« Er lachte unhörbar in sich hinein und fuhr fort: »Aber nun zu deinen Fragen! Ich höre, Fiona de Ponte.«

Doch bevor Fiona endlich von dem dringenden Anliegen reden konnte, flog die Tür schwungvoll auf und eine ältere Frau steckte den Kopf herein, sah Sadok auf dem Boden sitzen, betrachtete argwöhnisch die junge Frau am Tisch und sagte: »Es gibt bald etwas zu essen, Baruch!«

Dann verschwand sie wieder.

»Meine Frau«, erklärte der Rabbi als verrate er ein Geheimnis, und fuhr schmunzelnd fort: »Sie wollte nicht nur das bevorstehende Essen ankündigen, sondern auch sehen, dass alles seine Ordnung hat. Also, ich höre.«

»Und versprecht Ihr mir, dass Ihr keinem etwas von dem sagt, was Ihr jetzt hört?«

»Ich verspreche es.«

»Schwört es bei den Schriften Eurer Tora.« Der Rabbi legte seufzend seine Hand auf eines der in Leder gebundenen Bücher und sagte: »Ich schwöre, dass ich niemandem davon erzählen werde.« Etwas leiser murmelte er auf Griechisch: »Als ob die Tora einfach in einem jüdischen Wohnzimmer herumliegen würde. Diese Christen haben keine Ahnung …«

»Was meint Ihr?«

»Kümmere dich nicht um mich, ich murmle manchmal etwas in meinen Bart.«

»Gut.« Fiona begann erst zögernd, dann immer flüssiger von dem zu erzählen, was sie bedrückte.

»Ich habe, herausgefunden, dass ich eine ungewöhnliche Gabe habe, und ich weiß nicht, ob sie von Gott oder vom Teufel kommt.«

Baruch sagte nichts, sondern blickte an ihr vorbei zur Tür und streifte dabei scheu Fionas Gesicht. Es hatte sich beim Reden leicht gerötet, was ihren Zügen einen zusätzlichen Reiz verlieh.

»Ich habe … ich habe … die Fähigkeit, Gedanken bei anderen Menschen zu erkennen. Früher dachte ich immer, es wären meine eigenen Gedanken, und war überrascht, dass manchmal ohne erkennbare Zusammenhänge die seltsamsten Erkenntnisse durch meinen Kopf zogen. Seit ungefähr einem halben Jahr weiß ich genau, dass ich die Gedanken anderer auffange und selber denke. Meine Bitte: Was soll ich mit dieser Gabe tun? Woher kommt sie? Ist das etwas Böses oder Gutes?«

Der Rabbi sah Fiona kurz in die Augen, dann sagte er: »Ist das immer so oder nur gelegentlich?«

Fiona senkte den Blick. »Es ist nicht immer so. Manchmal passiert es und manchmal nicht. Ich weiß nicht, woran es liegt.«

»Und jetzt? Kannst du meine Gedanken jetzt erkennen?«

Fiona hielt den Blick auf den Boden gesenkt. Dann hob sie den Kopf und nickte. »Ja, jetzt auch.«

»Und?«, fragte der Rabbi. »Was geht in meinem Kopf vor?«

Fiona schwieg und blickte in die Ecke zu Sadok hinüber, der ihr zublinzelte. Dann wandte sie ihr Gesicht dem älteren Mann zu und sagte mit zitternder Stimme. »In diesem Augenblick würdet Ihr mich gerne küssen!«

Baruch fuhr auf und wollte etwas Ärgerliches sagen, aber ließ es dann doch bleiben und gab zu: »Du hast Recht. Vielleicht hättest du doch lieber zu einem Priester gehen sollen.«

»Da wäre es mir auch nicht besser ergangen. Seit Papst Gregor die Ehe für die Priester nicht mehr empfohlen hat, ist die Begehrlichkeit bei ihnen nicht weniger geworden. Es ist übrigens wieder vorbei. Im Augenblick höre ich nur Nebel. Ich weiß, es klingt seltsam. Aber besser kann ich es nicht ausdrücken. Ich bitte Euch, Rabbi Baruch, antwortet auf meine Frage! Was bedeutet diese Gabe? Ist sie ein Teufelswerk oder ein Gotteswerk?«

»Bevor ich...