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Noch 14 Tage, 11 Stunden und 58 Minuten
Flemming blätterte nachdenklich im Independent. Er hatte an diesem Morgen nur eine Tasse Tee getrunken, eine weniger als gewöhnlich. Etwas stimmte nicht.
Agnes fragte ihn ohne Umschweife: „Was ist los mit dir, Jeff? Irgendwas beschäftigt dich doch.“
Er legte langsam die Zeitung beiseite. „Mir geht da so ein kleiner Zwischenfall durch den Kopf.“
„Was ist passiert?“ fragte sie.
Flemming berichtete in knappen Worten von dem Treffen mit Soule. Er beschränkte sich dabei auf die reinen Fakten, ohne die rätselhaften Anspielungen Soules zu erwähnen.
„Und?“ fragte sie. „Willst du es mit dem jungen Mann probieren?“
„Habe ich nicht vor.“
„Na dann ist doch alles klar“, folgerte sie und biss in ihr Knäckebrot.
„Wobei“, Flemming zögerte, „er natürlich eine günstige Alternative wäre.“
„Habt ihr über Geld gesprochen?“
„Nein, aber ich würde definitiv schon einmal die Kosten für die Anzeige sparen.“
„So viel ist das auch nicht, Jeff.“
„Da hast du Recht. Ich habe ihm ohnehin schon gesagt, dass er es vergessen soll.“
„Okay.“
Flemming nahm sich seine Zeitung und las weiter. Agnes schwieg einige Minuten, bis sie plötzlich einwarf: „Was kostet ein Wochenende im Danesfield House Hotel? Ich meine, mit allem Drum und Dran. Suite, Candlelight-Dinner, Saunanutzung, Whirlpool auf dem Zimmer. Na, du weißt schon.“
Flemming verzog das Gesicht. Er mochte es nicht, wenn Agnes wieder irgendeiner fixen Idee nachhing. Er antwortete durch die Zeitung, so dass sie seine Miene nicht erkennen konnte.
„Sechshundert Pfund. Vielleicht sechshundertfünfzig.“
„Und eine Stellenanzeige?“
„Vierhundertzwanzig. Mit Rahmen vierhundertsechzig. In der Wochenendausgabe.“ Er senkte den Independent. „Oh, nein, Baby. Das sind zwei grundlegend verschiedene Dinge. Nicht miteinander zu vergleichen.“
„Meine Eltern würden sicher gern mal wieder Debbie übers Wochenende zu sich nehmen.“
„Aber ich kann deswegen nicht so einen dahergelaufenen …“
„Schatz, nur wir zwei.“
„Agnes, bitte!“
„…in einer romantischen Suite. Bitte versuch es doch mit diesem – wie hieß er doch gleich?“
Soule, schoss es Flemming durch den Kopf.
Er antwortete: „Hab ich vergessen.“
„Bitte versuch es doch mit diesem Mann ohne Namen und spendier uns dafür ein Wochenende im Danesfield House Hotel.“
Flemming blickte auf die Uhr. Warum hatte er diese unsinnige Diskussion nur begonnen? Er hätte seine Frau besser kennen sollen.
„Hör zu! Du weißt, wie hart ich den Ruf einer seriösen und zuverlässigen Detektei aufgebaut habe. Und ich habe keine Lust, ihn durch ein Experiment mit einem ungepflegten Amateur wieder zerstören zu lassen. Keine Chance. Außerdem habe ich weder eine Telefonnummer noch eine Adresse von dem Kerl.“
Bisher hatte ihn Agnes amüsiert angesehen. Aber mit einem Mal nahm ihr Gesicht einen ernsten Ausdruck an.
„Jeff, ich denke wirklich, dass uns ein paar Tage ohne Kind guttun würden. Wir haben in den letzten Monaten wenig an uns gedacht. Außerdem“, sie streichelte über ihren nicht vorhandenen Bauch, „solltest du daran denken, dass ich bald viel Kraft brauchen werde.“
Flemming schwieg. Er hatte an diesem Morgen wirklich die Schwangerschaft seiner Frau vergessen. Augenblicklich plagte ihn das schlechte Gewissen. Sie hatte den Ball auf seine Seite geworfen und ihm die Erlaubnis genommen, ihn zurück zu spielen. Er sah auf die Uhr. Es war Zeit zu gehen.
Er gab ihr einen flüchtigen Kuss und fuhr zur Arbeit.
Die Wanduhr zeigte exakt neun Uhr an. Flemming saß in seinem Büro und schloss den Koffer mit den Utensilien für seine Observation.
Erschreckt sah er auf. Seine Bürotür öffnete sich langsam, ohne dass es zuvor geklopft hatte. Flemming zog die Augenbrauen in die Höhe, als er erkannte, wer ihn so früh aufsuchte. In der Tür stand Soule. Er hatte seine linke Hand tief in der Tasche seines dunkelgrünen Parkers vergraben und kam auf Flemming zu.
„Was wollen Sie denn schon wieder?“
„Ich muss für Sie arbeiten, Sir.“
„Die Entscheidung, wer für mich arbeitet, überlassen Sie freundlicherweise mir“, erwiderte Flemming gereizt.
„Sie werden mich brauchen.“
„Das erwähnten Sie bereits gestern, Mister Soule.“ Flemming zog sich sein Jackett an und griff wütend den Aluminiumkoffer. „Ich würde Sie bitten, mein Büro zu verlassen. Ich habe zu arbeiten.“
Soule blieb gelassen: „Sie sollten Menschen nicht nach ihrem ersten Eindruck beurteilen. Testen Sie mich! Sie haben doch nichts zu verlieren.“
„Bitte verlassen Sie mein Büro unverzüglich.“
„Testen Sie mich. Sie werden mich brauchen!“
Soules dreiste Hartnäckigkeit irritierte Flemming. Er ärgerte sich darüber, denn er war es gewohnt, sich von anderen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Aber es war da noch etwas anderes, was dieser ungepflegte Soule ausstrahlte.
Flemming wusste nicht warum, aber Soule faszinierte ihn. Er entsprach nicht im Geringsten seiner Vorstellung von Menschen, die er gerne kennen lernen würde. Sein Äußeres war nicht dazu angetan, Vertrauen zu entwickeln. Und doch spürte Flemming, dass Soule genau die Verstärkung sein könnte, die er suchte, so sehr das auch seinem gesunden Menschenverstand widersprach. Und Soule hatte in einem Punkt Recht: Was hatte er schon zu verlieren? Die Gesetze ließen eine problemlose Entlassung zu, wenn sich eine Neueinstellung in den ersten Tagen als falsch erweisen sollte. Flemming zögerte nachdenklich, doch dann entschloss er sich, Soule versuchsweise zu beschäftigen, nicht zuletzt, um weitere Diskussionen mit seiner Frau zu vermeiden. Und er könnte so zumindest das Geld für eine teure Annonce in der IC Newcastle sparen.
„Okay, ich werde Ihnen eine Chance geben, Soule. Aber ich rate Ihnen eins: Bewähren Sie sich! Ich bin nicht gewillt, viel Zeit mit Ihrer Einarbeitung zu verbringen.“
Soule nickte auf eine Weise, als hätte er keine Sekunde daran gezweifelt, dass Flemming zusagen würde. Der Detektiv fuhr fort: „Sollte ich mich zu einer über diese Testphase hinausgehenden Zusammenarbeit entschließen, erhalten Sie anfänglich einhundertfünfzig Pfund pro Woche zuzüglich Spesen. Nach drei Monaten können wir dann noch einmal über Ihr Gehalt sprechen.“
„Das Geld interessiert mich nicht.“
„Ich werde Sie daran erinnern, wenn es so weit ist. Nun wollen Sie sicher wissen, was heute für uns auf dem Programm steht.“
„Sie werden es mir wahrscheinlich gleich sagen, Sir.“
„Das hatte ich vor. Wir werden L& S Communication einen Besuch abstatten und einige Dinge überprüfen. Nichts besonders Aufregendes, aber wahrscheinlich ein guter Einstieg in unser Business.“
Soule nickte und starrte aus dem Fenster. Einige Schneeflocken tanzten verloren auf und ab. Wenige Minuten später verließen sie das Büro. Noch während sie den Flur durchquerten, murmelte Soule:
„Ich werde den Fahrstuhl nehmen. Wir sehen uns dann ja in der Garage.“
Flemming stieg die Treppe hinab. Er hoffte, im Laufe dieses Tages die Einsilbigkeit seines neuen Mitarbeiters auflockern zu können, aber er hütete sich davor, ihm vorschnell zu viele Einblicke in laufende Aufträge zu geben.
Als sie in dem MG die Schranke erreichten, deutete Flemming auf einen kleinen Verschlag und erklärte: „Da sitzt Jeremy, der Parkhauswächter.“
Soule würdigte ihn keines Blickes, als er sagte: „Er gibt seine wenigen Kröten für ein paar jämmerliche Ficks mit noch jämmerlicheren Nutten aus.“
„Sollte ich mich wirklich zu einer längerfristigen Zusammenarbeit mit Ihnen entschließen, müssen sie sich eine andere Wortwahl angewöhnen, Soule.“
Der reagierte nicht. Er griff in seine gefütterte Jackentasche und zog eine Schachtel Benson& Hedges heraus. Wortlos steckte er sich eine Zigarette an.
„Bitte nicht. Das ist ein Nichtraucherfahrzeug.“
„Jetzt immer noch?“, fragte Soule und drückte die Kippe im Aschenbecher aus. Angewidert sah Flemming ihn an und nahm sich vor, bei der ersten Gelegenheit den Aschenbecher zu entleeren und eingehend zu reinigen. Er öffnete das Fenster, doch der Rauch wollte nicht vollends herausziehen.
Sie fuhren in die Grandstand Road in Richtung Cowgate herunter. Die wenigen Schneeflocken, die auf die Scheibe fielen, schmolzen, bevor die Wischer sie zur Seite schieben konnten.
„Sie sollten hier rechts abbiegen“, riet Soule.
Überrascht sah Flemming ihn an. Sie hatten während der zwanzigminütigen Autofahrt kein Wort gesprochen und jetzt wies Soule auf eine...