Das Buch
Der Diakon Aitulf hat die junge Agnes, die Tochter verstorbener Freunde, an Kindes statt angenommen. Mit einer Gruppe von Händlern reisen die beiden von Treveris (Trier) nach Antonaco (Andernach), wo die 15-jährige Agnes in ein Kloster eintreten will. Doch in der Nacht wird die Reisegesellschaft überfallen, Agnes verschwindet spurlos und mit ihr ein junger Mann, der ihr zu Hilfe kommen wollte. Aitulf vermutet, dass die beiden von den Sachsen entführt wurden. Da er zunächst nicht weiß, wo er nach den Mädchen suchen soll, befragt er heimlich eine Nonne, die die Gabe der Weissagung hat. Doch der Spruch der eigenwilligen Frau bleibt ihm unverständlich.
Während Aitulf noch rätselt, was es damit auf sich hat, wird die verletzte und fiebernde Agnes im Sachsenlager von dem Mädchen Gna gesund gepflegt. Doch dann erfährt Agnes, dass ihr eine große Ehre zuteil werden soll:
Sie ist als Opfer für den Gott Wodan vorgesehen.
Trier in der Spätantike bzw. im frühen Mittelalter
Kapitel 1
Im 10. Regierungsjahr Sigiberts, König der Franken, Sohn König Chlothachars, aus dem Geschlecht der Merowinger (570 n.Chr.)
Aitulf hielt inne und bückte sich. Dann band er die locker gewordenen Lederbänder um die Waden wieder fest und blieb regungslos stehen, ohne sich aufzurichten.
Da war doch eben ein Geräusch gewesen? Das Knacken eines Zweiges... und ein kurzer dumpfer Ton, etwa ein unterdrückter Schrei? Ein Tier vielleicht? Aber das würde wohl eher aus dem Dickicht hervorpreschen und weglaufen oder zum Angriff übergehen. Aitulf wartete und wagte kaum zu atmen. Nichts.
Oder war es ein junger Drache, der gleich seine hässlichen, lederartigen Hautflügel ausbreiten würde, um knatternd über sie hinwegzubrausen und seinen Rauch- und Feueratem in ihre Richtung zu schleudern? Roch es nicht sogar nach Rauch?
Aitulf schnupperte. Es roch nach modrigem Laub, und wenn er die Augen schloss, dann meinte er, dass eine Spur von etwas Verbranntem in der Luft lag. Aber das konnte auch von einem Holzkohlenmeiler kommen.
Vorsichtig tastete er nach der Franziska, seiner scharf geschliffenen Wurfaxt, die an seiner linken Seite am Gürtel hing. Er hatte zwar noch nie einen Drachen gesehen, aber die Geschichten um gefährliche Kämpfe mit diesen seltsamen Geschöpfen waren weit verbreitet.
Natürlich könnten auch Menschen im Wald sein. Schließlich lagen in dem Ochsenkarren fein gegerbtes Leder, Amphoren und Fässer mit Wein und Salz. Zwar waren nur noch wenige Waren übrig, weil der Rest schon verkauft war, aber trotzdem könnten Diebe davon angelockt werden, wie Fliegen von einem Tropfen Honig.
Vielleicht... ja vielleicht waren sogar Sachsen im Wald, die durch das Unterholz schlichen. Immerhin begann das Gebiet der Heiden keine dreißig Meilen entfernt von hier.
Aitulf wartete.
Da! Schon wieder dieses Knacken.
Er musste die anderen unbedingt warnen. Langsam und vorsichtig richtete er sich wieder auf und blickte sich suchend am Waldrand um, ohne den Kopf allzu rasch zu wenden. Aber er konnte nichts Auffälliges erkennen. Die einzige Bewegung, die er sah, war seine eigene Reisegesellschaft, einen Steinwurf von ihm entfernt, die unbekümmert weiterzog. Das mil