1. KAPITEL
Auf dem Display erschien der Name seines Zwillingsbruders. Das war zurzeit so ungefähr die einzige Nummer, die Nick Tate nicht gleich zur Voicemail durchgehen ließ.
Er kam gar nicht dazu, sich zu melden, als Malcolm ihn schon anbrüllte: „Verdammt noch mal, Nick! Du hast mit unserer Anwältin geschlafen, oder?“
Nick stockte beinahe das Blut in den Adern. Es gab nur eine Frau, mit der er geschlafen hatte, seit er von seinem letzten Einsatz zurück war, und sie hatten sich vorher nicht lange mit ihren Lebensgeschichten aufgehalten. Sie waren nicht einmal dazu gekommen, die Namen auszutauschen. Jetzt sah es ganz so aus, als wäre das ein Fehler gewesen.
„Sie ist unsere Anwältin?“, fragte er vorsichtig. Vielleicht hatte er sich ja verhört.
„Harper Lake ist seit gut zwei Jahren die Firmenanwältin von Tate Armor.“
Nick verzog das Gesicht. Das war das Problem damit, dass er nur der stille Teilhaber in ihrem Unternehmen war – er verpasste die Details. Und es sah ganz so aus, als handelte es sich bei dieser Anwältin um ein faszinierendes Detail. Es war drei Monate her, seit sie zusammen gewesen waren, und Nick dachte immer noch an sie, hatte aber keine Möglichkeit gehabt, sie ausfindig zu machen. Bis jetzt.
„Du hast ihr offensichtlich nicht gesagt, wer du bist“, fuhr Malcolm fort. „Sie glaubt, sie hätte mit mir geschlafen.“
Nick fluchte stumm. Nur die wenigsten Menschen konnten sie beide auseinanderhalten, und wenn dann noch eine Maskierung dazukam – es war ein Maskenball gewesen – und er als Malcolm erschien, dann war es nahezu unmöglich. Seit ihren Kindertagen hatten sie sich nicht mehr füreinander ausgegeben. Aber als Nick hörte, dass ein unzufriedener Kunde seinen Zwillingsbruder bedrohte, und davon auszugehen war, dass er ihn auf dem Ball bedrängen würde, hatte Nick nicht gezögert, für Malcolm einzuspringen, um das Problem aus der Welt zu räumen.
Die Geschichte ging nun schon seit ein paar Wochen so, und genug war genug. Nick taugte vielleicht nicht mehr zu vielem, aber das war ein Problem, mit dem er fertig werden konnte. Auch wenn es bedeutete, dass er seine selbst gewählte Einsiedelei verlassen musste.
Wenn Harper Malcolm kannte, war es nur logisch, dass sie Nick für seinen Bruder gehalten hatte. Er hatte an dem Abend nicht darüber nachgedacht. Der Funke zwischen ihnen war sehr spontan übergesprungen, und keiner von ihnen hatte daran gedacht, noch lange irgendwelche Erklärungen abzugeben. Sie hatten es nicht einmal bis zum Bett geschafft.
Obwohl die Empörung seines Bruders am anderen Ende der Leitung förmlich greifbar war, musste Nick lächeln. Noch nie hatte er eine Frau getroffen, die Harper Lake auch nur annähernd gleichkam.
Aber jetzt war nicht der Moment, in Erinnerungen zu schwelgen. Er riss sich zusammen und wandte sich dem Problem zu. Eine der seltenen Nächte, in denen er sich einmal hatte gehen lassen, hatte nun Folgen für seinen Bruder, der immer genug Finesse und Charme für sie beide zusammen gehabt hatte.
„Keine Sorge, ich kümmere mich darum.“ Jetzt, da er ihren Namen kannte und wusste, wo sie arbeitete, konnte er mit ihr reden. Vielleicht konnte er morgen nach Büroschluss auf sie warten. Oder er konnte in der Mittagspause zu ihr gehen und ihr anbieten …
„Das ist kein harmloses Missverständnis, das du ein