PROLOG
5. Juli 1798
Im Süden Irlands, in der Nähe von Askeaton Castle
Abgehetzt stürmte Gerald O’Neill in das Herrenhaus. Sein zuvor makellos weißes Hemd war rot verfärbt, die braunen Kniehosen und der dunkle Mantel starrten vor Schmutz. Blut rann ihm über die Wange und verfing sich in seinen Schnurrbarthaaren. Am Kopf und an den Händen klafften ihm offene Wunden. Sein Herz hämmerte wild in der Brust, und selbst jetzt noch hallten der Kampfeslärm und die Schreie der Sterbenden in seinen Ohren wider. „Mary! Mary, ihr müsst euch im Keller verstecken!“, rief er außer Atem.
Devlin O’Neill war zu benommen, um sich von der Stelle zu rühren. Sein Vater war mehr als einen Monat fort gewesen, hatte allerdings in regelmäßigen Abständen von sich hören lassen. Obwohl Devlin erst zehn Jahre alt war, wusste er genau, dass Krieg bevorstand. Farmer und Geistliche, Schafzüchter und Landbesitzer, einfache Bauern und Landadlige, sie alle hatten sich gleichermaßen erhoben, um die englischen Teufel ein für alle Mal zu vertreiben und das zurückzunehmen, was in Wahrheit ihnen gehörte – das fruchtbare irische Land, das man ihnen vor einem Jahrhundert widerrechtlich entrissen hatte. Nun gab es so viel Hoffnung – doch auch so viel Angst.
Devlins Herz schien einen Schlag lang auszusetzen, als er seinen Vater anstarrte. Einerseits war er erleichtert, ihn endlich wiederzusehen, andererseits verspürte er diese beklemmende Angst. Noch nie hatte Devlin ein so wildes Flackern in den Augen seines Vaters gesehen. Großer Gott!
„Ist Vater verletzt?“, wisperte ein dünnes Stimmchen neben ihm, und eine kleine Hand zog an seinem ausgefransten Ärmel.
Devlin schaute seinen jüngeren Bruder gar nicht an, denn er vermochte den Blick nicht von seinem Vater zu wenden. So viele Gedanken schossen ihm in diesem Augenblick durch den Kopf. Zu Beginn der Rebellion hatten die Aufständischen die Stadt Wexford erobert, und die ganze Grafschaft hatte gejubelt. Aber auch Niederlagen hatten nicht lange auf sich warten lassen. Jetzt waren die englischen Rotröcke überall; genau an diesem Morgen hatte Devlin von einem Hügelkamm aus Tausende marschieren sehen. Der wohl unheilvollste Anblick, den er je gesehen hatte! Ihm war zu Ohren gekommen, dass Wexford gefallen war, und eine Magd hatte erzählt, Tausende seien in New Ross gestorben. Er hatte es nicht wahrhaben wollen – bis jetzt. Mittlerweile glaubte er, dass die Gerüchte von Niederlage und Tod doch der Wahrheit entsprachen, denn zum ersten Mal in seinem noch jungen Leben sah er Furcht in den Augen seines Vaters.
„Ist Vater verletzt?“, fragte Sean abermals mit bebender Stimme.
Devlin wandte sich seinem Bruder zu. „Ich glaube nicht“, log er, denn er wusste, dass er jetzt tapfer