1. KAPITEL
Jessica Steyn hatte sich den halb nackten Mann, der sie in der vergangenen Woche so prächtig unterhalten hatte, wahrlich nicht ausgesucht. Aber sie konnte auch nicht leugnen, dass es sehr schnell zu ihrem Lieblingshobby geworden war, ihn zu beobachten.
Sie sah ihm gebannt dabei zu, wie er stapelweise Holzscheite aufhob, wobei sich die Muskeln auf seinem nackten Rücken spannten und ein leichter Schweißfilm darauf erschien. Oh ja, das war eindeutig ein erstklassiges Unterhaltungsprogramm.
Die leichten Gewissensbisse aufgrund dieser heimlichen Beobachtung ignorierte sie. Denn schließlich war es ja nicht ihre Schuld, dass er kein Hemd trug. Und es war auch nicht ihre Schuld, dass er es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hatte, Bäume im Hof zu fällen. Jeden Tag gegen Mittag trat er aus dem Haus, hackte Äste und Baumstämme, die er am Tag zuvor ab- und kleingesägt hatte, zu Scheiten und stapelte sie zu einem Haufen. Eine schweißtreibende Arbeit bei der das alte T-Shirt, das er zunächst anhatte, schnell abgestreift wurde. Dann trug er das Brennholz in eine abgetrennte Ecke des Hofs, bis er wieder mit dem Ganzen von vorn begann.
Seit Jessica herausgefunden hatte, dass er dieses Ritual täglich vollzog, setzte sie sich gegen Mittag an das Fenster, von dem aus sie sein Anwesen im Blick hatte, um die Show zu genießen.
Dem Himmel sei Dank, dass ich ihn entdeckt habe, dachte sie und beobachtete fasziniert, wie er eine Flasche Wasser trank. Die Tropfen rannen ihm übers Kinn, seinen Hals herunter und über seine muskulöse Brust. Sofort machte ihr Herz einen Satz. Vielleicht sollte sie sich auch etwas zu trinken holen.
Er war eine gute Abwechslung an ansonsten ziemlich langweiligen Tagen. Denn ihre Freundin und Chefin Anja war mit ihrem Mann Chet auf einer Geschäftsreise, und Jessica hatte die meiste Zeit frei. Und nichts anderes zu tun, als Mr. Sexy von nebenan zu beobachten.
Natürlich dachte sie auch über das Kind nach, das in ihr heranwuchs.
Doch bevor sie sich in diesen Spekulationen verlieren konnte – und darüber nachdenken konnte, wie ihr das Leben dadurch zum ersten Mal sinnvoll erschien –, fragte sie sich, weshalb Anja nichts von diesem sexy Nachbarn erzählt hatte.
Sie half Anja jetzt seit zwei Jahren dabei, deren Yogastudio zu managen, doch dies war das erste Mal, dass sie ihn gesehen hatte. Um fair zu bleiben, war es allerdings auch das erste Mal, dass sich Jess länger als ein paar Tage in Anjas Privathaus aufhielt. Trotzdem hätte sie erwartet, dass Anja ihr von dem Mann erzählte – vielleicht nicht als Chefin, aber als ihre Freundin.
Und ganz bestimmt als Jessicasbeste Freundin.
Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie sah, dass der Holzstapel, von dem sich Mr. Sexy gerade abgewandt hatte, instabil wurde, die obersten Scheite zu rutschen begannen, und der Mann das nicht bemerkte. Jess sprang von ihrem Stuhl hoch, einen Warnschrei auf den Lippen, aber es war zu spät. Die Scheite rollten ihm bereits zwischen die Füße, und sie beobachtete entsetzt, wie er zu Boden fiel. Im letzten Moment gelang es ihm noch, sich zu drehen, sodass er auf der Hüfte landete.
Bevor sie nur bis drei zählen konnte, war sie schon aus der Tür. So schnell es ihr gewölbter Leib erlaubte, lief sie zum Nachbargrundstück. Sie schickte ein leises Dankgebet zum Himmel, als sie erkannte, dass das Tor offen stand. Dann kniete sie schon neben ihm, und ihre Hände strichen über die mu