2. KAPITEL
„Ich bin zurück vom Markt, Señor!“, verkündete Izzy fröhlich, als sie das beengte Arbeitszimmer ihres neuen Chefs betrat. Eine seidige blonde Strähne hatte sich aus dem Band gelöst, mit dem sie ihr widerspenstiges Haar zurückgebunden hatte, und sie schob sie mit der Hand aus den Augen. „Heute gibt es frische Sardinen mit grünen Bohnen zum Lunch.“
Billig, aber nahrhaft.
Das Haushaltsgeld war so knapp bemessen, dass sie es mit dem größten Teil ihres sowieso schon erbärmlichen Lohns aufstocken musste. Aber sie beklagte sich nicht. Ihr Arbeitgeber war offensichtlich sehr arm und hatte keine Möglichkeit, ihr mehr zu geben. Umso lohnenswerter war es für sie zu beobachten, wie der alte Herr allmählich immer mehr zu Kräften kam.
„Und Pfirsiche. Die haben mich so angelacht, ich konnte einfach nicht widerstehen.“
Miguel blickte von den Büchern und Papieren auf, die jeden Zentimeter des großen Schreibtisches bedeckten, und lächelte ihr freundlich über den Rand seiner Brille zu, die er vor einiger Zeit eigenhändig mit Klebeband repariert hatte. Vermutlich hatte er früher einmal sehr gut ausgesehen, jetzt wirkte er hager und asketisch. „Ich freue mich schon auf das Mittagessen. Aber eine Sache müssen wir noch klären. Du bist jetzt schon seit fünf Wochen bei mir, und ich habe dich von Anfang an gebeten, mich zu duzen und mit meinem Vornamen anzusprechen. Jetzt bitte ich nicht mehr darum, ich befehle es!“
„Okay. Aber nur, wenn du alles liegen und stehen lässt, was du gerade tust, und mit mir an die frische Luft kommst“, willigte sie gut gelaunt ein.
Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihn jeden Morgen und Abend zu einem kurzen Spaziergang zu ermuntern und für regelmäßige Mahlzeiten zu sorgen, die er über der Erforschung irgendwelcher obskurer Heiligen zu leicht vergessen hätte.
„Du kommandierst mich herum“, klagte er lächelnd und legte den Stift aus der Hand. „Darf ich alter Mann mir erlauben, dir zu sagen, wie hübsch du heute Morgen aussiehst?“
„Oh!“ Izzy wurde rot. In der kurzen Zeit, seit sie bei ihm war, war es ihm gelungen, ihr Selbstvertrauen wiederherzustellen, das ihr vorher völlig abhandengekommen war. Sie brauchte inzwischen noch nicht einmal mehr Schuhe mit extra hohem Absatz, um sich sichtbar zu fühlen. Auf dem Markt hatte sie sich flache Sandalen gekauft. In ihnen fühlte sie sich zwar so breit wie hoch, aber sie waren irrsinnig bequem.
Und der alte Herr war so dankbar für alles. Den Schmutz um sich herum hatte er gar nicht bemerkt, bis er von ihr entfernt worden war. Sie hatte geschrubbt, gewaschen und poliert, bis das bescheidene kleine Haus glänzte. Als er sich von seiner Überraschung erholte, hatte er sie so überschwänglich gelobt, dass ihr ganz schwindlig geworden war. Es war das erste Lob, das sie in den zweiundzwanzig Jahren ihres Lebens erhalten hatte.
Ihrer beider Schutzengel mussten die Köpfe zusammengesteckt haben an dem Tag, an dem die del Amos sie hinausgeworfen hatten und Senor Garcia auf der Straße zusammengebrochen war. Welch ein Glück, dass beide zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen waren! Der alte Professor sah inzwischen schon viel besser aus, und Izzy war dankbar, so schnell einen Arbeitsplatz und ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben, und sie war glücklich über ihre neuen Aufgaben.
Diesmal hatte Izzy ihren Eltern die Nachricht von dem erneuten Stellen- und Anschriftenwechsel per Brief mitgeteilt. Sie konnte wirklich keine Neuauflage des Telefonats ertragen, bei dem sie ihnen von der Kündigung der Stelle in London und dem Job als Nanny berichtet hatte. Über Inhalt und Wortlaut der Antwort, die sicher bald folgen würde, wollte sie jetzt allerdings nicht nachdenken, sondern lieber das ungewohnte Gefühl genießen, geschätzt zu werden.
„Ich räume rasch die Einkäufe weg, dann gehen wir an die frische Luft, bevor es zu heiß wird.“ Sie schloss die Tür zum Arbeitszimmer hinter sich und eilte in Richtung Küche. Der bunt gemusterte Baumwollrock schwang fröhlich um ihre nackten Beine. Plötzlich wurde die Haustür geöffnet. Erschrocken fuhr Izzy herum und erblickte einen hochgewachsenen Fremden mit dunklem Haar.
Ein ausgesprochen gut aussehender Fremder.
Mit vor Staunen geweiteten Augen betrachtete sie ihn. Der auffällig große, breitschultrige Mann trug ein graues Hemd aus feiner Baumwolle zu perfekt sitzenden Designerjeans, und die Schuhe waren möglicherweise sogar handgefertigt.
Langsam ließ sie den Blick zu seinem Gesicht gleiten. Hohe Wangenknochen, aristokratisch geschwungene Nase, nachtschwarze Augen, umrahmt von langen dunklen Wimpern, und tiefschwarzes Haar, offensichtlich von einem ausgezeichneten Friseur gestylt, fügten sich zu dem Bild eines überaus attraktiven Mannes zusammen – der sie voll offener Feindseligkeit musterte.
„Izzy Makepeace?“
Seine Stimme troff vor beißendem Sarkasmus, und ihr Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus.
Wer ist das? fragte sich Izzy.Bestimmt kein Polizist in Zivil, von Señora del Amo dazu angestiftet, mich zu verhaften, weil ich unschuldige Kinder und ältliche Bankiers gefährde! Ein Polizist hätte sich Designerkleidung ebenso wenig leisten können wie die schmale goldene Uhr am Handgelenk, die vermutlich mehr wert war, als ein Polizeibeamter in einem ganzen Jahr verdiente!
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und beschloss, nicht hysterisch zu werden, auch wenn ihr durch die mächtigen del Amos große Ungerechtigkeit widerfahren war.