Kapitel 1
Der Pfad zwischen den Bäumen
Der frühmorgendliche Winterhimmel war in ein lebhaftes Lila getaucht, das auf dem Weg zum Horizont in ein stechendes Blau überging. Es war so kalt, wie die Hölle heiß ist, sofern es einem gelang, sich das Gegenteil zur Hitze der Hölle als Eiseskälte vorzustellen. Graham holte die straff gespannte Schnur ein, Hand über Hand. Mit kreisförmigen Bewegungen wickelte er die Schnur von der Hand über den Ellbogen auf und starrte dabei in das dunkelblaue Eisloch im zugefrorenen See. Sich drehend und windend kam die Forelle auf ihn zu, um ihr Schicksal zu erfüllen.
Sam zog ein letztes Mal kräftig an der Schnur, streckte die Hand aus und packte den gierigen Fisch mitten in der Luft. Er entfernte den Haken aus dem Maul und warf den eiskalten Fisch in einen Eimer, der schon gut gefüllt mit seinen Brüdern und Schwestern war. Sam und Graham legten eher Wert auf Menge statt Größe, wenn sie in den seichten Gewässern unter dem Eis fischten. Dennoch hatten sie heute Morgen länger gebraucht als üblich, um genug für alle in ihrer Gruppe zu fangen.
Innerhalb weniger Minuten war das tiefe Blau, vor dem eben noch der Mond eingebettet in einen feinen Nebel gestanden hatte, vom Himmel verschwunden. Das grelle Tageslicht war so intensiv, dass sie Sonnenbrillen aufsetzen mussten. Trotz der Wärme, die das Sonnenlicht mitbrachte, blieb es kalt, und sie behielten ihre zusätzlichen Pelzschichten an.
Sobald sie genug für das Frühstück gefangen hatten, sammelten sie still ihre Ausrüstung ein und machten sich auf den Weg zurück zum Camp. Wie jedes andere Zweierteam, das immer wieder der gleichen Routine unterworfen war, verrichteten sie ihre Arbeit ohne ein einziges Wort, das sich auf die Aufgabe bezog. »Nimm deine Nase da raus, Sheriff«, warnte Graham sanft den Hund mit seiner rauen, tiefen Stimme, als er ihn dabei erwischte, wie er in den Eimer spähte. »Du wirst schon deinen Anteil bekommen.« Er tätschelte den Hund am Kopf, wuschelte ihm durchs Fell und hob ihren morgendlichen Fang auf. Hinter ihm erschien Sam mit den anderen Schnüren in der Hand, nachdem er die Eislöcher mit Sperrholzplatten abgedeckt hatte, damit sie nicht zu sehr zufroren.
»Bereit?«, fragte Sam.
»Ja.«
Das Eis knirschte unter ihren Stiefeln, als sie über die zuverlässige Kruste liefen, und ihre Schritte hallten in der Weite der Landschaft wider, bis sie auf dem Pfad zwischen den Bäumen waren. Mark war gerade damit fertig geworden, den Weg vom Schnee der letzten Nacht zu befreien.
Als sie die Lichtung heraufkamen, warf Bang, der von Kopf bis Fuß in seiner Schneeausrüstung steckte, gerade den Hühnern Essensreste zu. Begierig umschwirrten sie ihn und stürzten sich auf die mageren Delikatessen. Sheriff rannte voraus, um seinem jungen Freund zu helfen. Graham lachte, amüsiert darüber, dass der Hund nicht verstand, warum sie die Vögel in Käfigen hielten und warum, um alles in der Welt, er sie nicht in ihrem Stall besuchen durfte. Die Hennen legten unhöflicherweise keinerlei Wert auf Sheriffs Gegenwart und eilten immer ans andere Ende ihres Geheges, wenn er sie jeden Morgen begrüßen kam.
Graham rief Bang zu: »Denk dran, dass du ihnen frisches Wasser gibst!«
»Mache ich doch immer«, antwortete Bang, den die unnötige Erinnerung etwas verärgert aussehen ließ. Doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Mark hat gemeint, ich soll dir sagen, dass Ennis immer noch schläft.«
»In Ordnung, danke. Ich sehe nach ihm.« Graham und Sam gingen schweigend an der Vorderseite ihrer Blockhütte vorbei. Sam wirkte nachdenklich, was für ihn nicht ungewöhnlich war. Man konnte den ganzen Tag mit ihm verbringen und häufig kam nicht mehr als ein Nicken oder ein gelegentliches Wort aus ihm heraus. Graham vermutete, dass Sam entweder über ihre Zukunft nachdachte oder darüber trauerte, dass er von seiner Tochter Addy getrennt war. Ob er jemals wieder einen anderen Menschen in seine Gedankenwelt hineinlassen würde, war völlig offen. Umso überraschter war Graham, als Sam sich zu Wort meldete.
»Weißt du, Ennis wird keinen weiteren Winter mehr erleben. Du solltest darauf vorbereitet sein, Graham.«
Graham antwortete leise. »Ja, ich weiß. Wir verlieren ihn jeden Tag ein Stückchen. Er redet kaum noch, und wenn er es tut, sind es unverständliche Warnungen. Als ob er versucht, uns so viel wie möglich mitzugeben, bevor er geht.« Graham blieb abrupt stehen und stieß mit der Stiefelspitze gegen das Eis. Ein Wölkchen aus weißen Kristallen stob nach vorn. »Ich bin dankbar, dass wir ihn so lange bei uns hatten.«
Sam klopfte ihm auf den Rücken. Er mochte Ennis auch. Der alte Mann hatte Sam sogar ein paar Tricks gezeigt, wie er die kleinen Holzfi