: Leopoldine Evelyne Kwas
: Ich bin das Volk
: Edition A
: 9783990012451
: 1
: CHF 15.40
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Espresso im Café ist Luxus und Einkaufen im Supermarkt wäre es ohne Billigmarken auch. Evelyne Kwas, eigentlich typische Vertreterin der Mittelschicht, geht in ihrer Wutrede mit den Politikern hart ins Gericht. Sie sind abgehoben und wissen nicht mehr, wie es den Menschen im Land wirklich geht. Viele ihrer Wähler lassen es sich nicht anmerken, doch in Wirklichkeit können sie sich wegen falschen politischen Entscheidungen ihr Leben kaum noch leisten. Offene Worte einer kämpferischen Niederösterreicherin, die nicht nur ins Herz ihrer Leser, sondern auch mitten in das der Gesellschaft treffen.

Leopoldine Evelyne Kwas, 1962 geboren ist zertifizierte Trainerin, diplomierte Wirtschaftsmediatorin, ehrenamtliche Lebens- Trauer- und Sterbebegleiterin und lebt seit 1979 im südlichen Niederösterreich. Sie war die meiste Zeit ihres Lebens im Handel beschäftigt. Seit 2015 führt sie einen kleinen Handelsbetrieb, als eine in die Selbständigkeit gedrängte Unternehmerin.

Armut, die Sie nicht sehen


Vergangenen Winter hatte ich auf einem Weihnachtsmarkt eine schmerzliche Begegnung. Eine schmächtige alte Frau mit faltigem Gesicht sah mich lieb an und zeigte auf den Kartoffelpuffer in meiner Hand, den ich mir geleistet und von dem ich schon abgebissen hatte.

Sie war keineswegs eine verkommene Alte, wie Sie jetzt vielleicht denken, eine, die wegen Trunksucht oder einer psychischen Erkrankung aus den sozialen Netzen gefallen ist. Sie war alles andere als eine typische Schnorrerin. Sie sah aus, wie vielleicht auch meine Mutter ausgesehen hätte, wenn sie nicht schon in jungen Jahren gestorben wäre. Sie war einfach eine betagte Österreicherin, zurückhaltend und etwas betreten. Eine betagte Österreicherin, die Hunger hatte.

Natürlich gab ich ihr meinen Kartoffelpuffer und natürlich lief ich und kaufte ihr noch einen zweiten, obwohl ich ehrlich gesagt auch ein bisschen aufs Geld schauen muss. Sie bedankte sich höflich und zog sich zurück, um ihre Mahlzeit zu genießen.

Wann, meine Damen und Herren, sind Ihnen das letzte Mal die Tränen in die Augen gestiegen, weil Sie erkannt haben, wie bitter es für manche ist, ihr Leben in unserem Land fristen zu müssen?

Ach ja, ich vergaß. Die Bettler gehören ja alle organisierten Banden an, die in Wahrheit in Schlössern wohnen und sich nur deswegen arm stellen, weil sie einfach faul sind.

Ich weiß.

Österreich war einmal so reich. Hier herrschten einmal nahezu amerikanische Verhältnisse. Vom Tellerwäscher zum Fabrikanten oder von der Stewardess zur Spitzenmanagerin. Solche Aussichten machten das Leben lebenswert. Dass die Wenigsten je so weit kamen, machte gar nichts. Alleine das Wissen um die Möglichkeit, mit Fleiß, Mut und guten Ideen alles erreichen zu können, schuf dieses Gefühl, ein vollwertiger Mensch zu sein.

Österreich war einmal so stark. Wir waren ein humorvolles und geeintes Volk mit pausbackigem Nachwuchs, das sich Zeit für seine Traditionen nahm. Die Alten mussten uns damals nicht verschämt um einen Bissen bitten. Wir hatten Respekt vor ihnen. Wir hörten auf sie, wenn sie uns vom Krieg erzählten und uns warnten. Wir standen in der Straßenbahn und im Bus auf, wenn einer von ihnen einstieg.

Auch damals ging es nicht allen gut, wenden Sie jetzt wahrscheinlich ein. Auch damals gab es Bettler. Doch damals fühlte sich das mit den Armen noch anders an.

Ich wuchs in einem Wiener Gemeindebau mit dem dort typischen dörflichen Charakter auf. Jeder kannte jeden, ob wir wollten oder nicht. Bestimmte Menschen sorgten beharrlich dafür, dass alle mit den neuesten Informationen über alle anderen versorgt waren. So wussten wir dann zum Beispiel, dass auf Stiege 4, Tür 2, eine alte und anscheinend ärmliche Frau eingezogen war. Also schickte die Gemeindebaugemeinschaft eine von den Frauen vor, um in einem freundlichen Gespräch die Lage zu sondieren. Mindestens zwei Mal die Woche brachte in der Folge jemand warmes Essen zu der alten Frau, und dies höchst diskret. Die Erwachsenen achteten darauf, ob sie die Vorhänge regelmäßig auf- und zuzog, und wir Kinder wa