: Ashish Bhalla, Christian Wolf
: Böse Heiler Wie Sie die Scharlatane in der Alternativmedizin erkennen
: Edition A
: 9783990013014
: 1
: CHF 14.20
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Schulmedizin ist in Verruf geraten, die Alternativmedizin boomt, doch das ist nicht immer gut. Selbsternannte Heiler ohne medizinisches Grundwissen und ausgebildete Ärzte auf Abwegen schaden mehr als sie nutzen, und das fu?r viel Geld. Der Arzt Ashish Bhalla und der Gesundheitswissenschaftler Christian F. Wolf zeigen die Abgru?nde der Alternativmedizin und wie wir uns als Patienten vor gefährlichen Scharlatanen schu?tzen können.

Dr. Ashish Bhalla promovierte 2002 zum Doktor der Humanmedizin und eröffnete eine eigene Ayurvedapraxis. Seit 2010 ist er wissenschaftlicher Leiter der Europäischen Akademie fu?r Ayurveda.

Der Fall Veronika Allsitter


Wegen ihrer Erkrankung lebt sie zurückgezogen. Jemanden kennenzulernen und sich gar zu verlieben würde alles nur noch schlimmer machen. Als Veronika Allsitter mir das erklärt, wird ihre Stimme brüchig. »Ich habe wirklich andere Sorgen«, sagt sie, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht an mir vorbei in den Garten meiner Praxis hinaus.

Veronika Allsitter wirkt auf den ersten Blick ruhig und doch erscheint sie mir sehr angespannt. Kein Wunder bei dem, was sie schon alles durchgemacht hat. Ihr Vater ist Psychiatriepatient und will seit ihrer Geburt nichts von ihr wissen. Als sie 15 war, starb ihre Mutter. Jetzt ist sie 25, Bibliothekarin, hat ihr Leben nach einem schlimmen Tief in der Pubertät im Griff und wäre gerne mit einem Mann glücklich geworden. Da gab es einen, den sie bei einem Konzert kennengelernt hat. Mit ihm war alles so leicht und einfach. Aber auf Dauer ohne Sex, wie sollte das gehen?

Nachdem sie mir ausführlich von ihren gesundheitlichen und den damit zusammenhängenden Problemen erzählt hat, gönne ich ihr etwas Ruhe. Ich fülle in ihr Glas lauwarmes Wasser nach und sehe noch einmal ihre Befunde durch. Am meisten zu schaffen macht ihr eine schlimme Form von HPV-Infektion. Seit dem letzten gynäkologischen Befund, der sechs Monate alt ist, hat sich laut ihrer Einschätzung nichts daran verbessert. Sie ringt seit zwei Jahren damit. Dazu ist ihre Periode seit jeher unregelmäßig und mit heftigen Beschwerden verbunden. Außerdem hat sie Zysten an den Eierstöcken. Daher wäre Sex für sie womöglich unangenehm.

Für eine mögliche Beziehung ist das Ganze klarer Weise eine Katastrophe. Sie hat überlegt, dem interessanten Mann, den sie beim Konzert kennengelernt hat, zu sagen, dass sie ihn beim Sex, selbst beim geschützten, infizieren könnte. Dann hat sie es bleiben lassen, sich zurückgezogen, mit einem bitteren Gefühl. Er hat wohl nicht verstehen können, warum.

Veronika Allsitter hat sich nichts vorzuwerfen. Sie hat für ihre Gesundheit gekämpft. Sie ernährt sich sehr gesund, macht viel Bewegung, war bis vor sechs Monaten regelmäßig beim Gynäkologen und ist in alternativmedizinischer Behandlung. Aber weder die Medikamente noch die Kräuter ihrer Heilerin, einer eingetragenen Energetikerin, haben bisher irgendwas bewirkt.

Zum Gynäkologen geht sie mittlerweile nicht mehr. Er hat ihr nur Angst gemacht, dass sich die HPV-Infektion zu Gebärmutter- oder Vaginalkrebs entwickeln könnte. Bei der Heilerin hingegen fühlt sie sich gut aufgehoben. Weshalb ihr nicht gefallen wird, was ich ihr sagen will, sobald sie sich erholt hat.

»Ihre Praxis hier ist irgendwie eigenartig«, sagt sie, während ich nach den richtigen Worten suche.

»Finden Sie?«

Ihr Blick wandert über mein Interieur. Ein Messstab für die Körpergröße. Eine alte Waage. Ein dunkler Biedermeier-Schreibtisch. Gold gerahmte Landschaftsbilder. Ein Parave