: Charlotte Roth
: Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit Michael Ende - Roman eines Lebens | Eine fesselnder Roman über das faszinierende Leben Michael Endes, dem Autor der 'Unendlichen Geschichte' - 'fantastisch!' Stern
: Eisele eBooks
: 9783961610761
: 1
: CHF 10.80
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: Erzählende Literatur
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Michael Ende - Roman eines Lebens Geschrieben von Spiegel-Bestsellerautorin Charlotte Roth Inhaltlich kuratiert von Roman Hocke, langja?hrigem Freund und Nachbarn Endes »Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.« Michael Ende (Momo) Michael Ende war eine faszinierende Persönlichkeit, die Welt kaum vorstellbar ohne seine Fantasie. Einzutauchen in diese Vorstellungswelt des Menschen Michael Ende ist das Ziel dieses Romans, der bewusst keine faktenorientierte Biografie sein will, sondern der Versuch, sich den Geheimnissen, die Michael Ende nicht preisgab, ebenso respektvoll wie poetisch zu nähern. Sein Leben, das ein knappes Jahrhundert umfasste, wird mit seinem ganz speziellen Blick auf die Welt beleuchtet, der hinter dem Sichtbaren das Unsichtbare zu erspu?ren suchte. Geschrieben von Charlotte Roth und inhaltlich kuratiert von Michael-Ende-Kenner Roman Hocke wird dem Innenleben des beliebten Autors auf besondere Weise nachgespu?rt - in einer Fu?lle von Bildern, Schaupla?tzen und Begegnungen, aus der sich das Mosaik seiner ganz eigenen Geschichte zusammenfu?gt. »Es ist ein großes Vergnügen, Charlotte Roth in das vor Kreativität überschießende Reich Michael Endes zu folgen: fantastisch!« Stern

Charlotte Roth, Jahrgang 1965, ist gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin und seit vielen Jahren als Autorin ta?tig. Mit ihrem Roman Als wir unsterblich waren, der auf einem Stu?ck ihrer Familiengeschichte basiert, gelang ihr der erste in einer Reihe von Bestsellern. Mit Michael Endes Büchern aufgewachsen, zieht sie Kinder und Enkel damit groß und schreibt selbst Kinderbücher nach Motiven seiner Jim-Knopf-Romane. Für die Recherche an Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit führte sie unzählige Gespräche mit Endes Lektor und Freund Roman Hocke. Charlotte Roth lebt mit Mann, Kindern, Enkeln und Ende-Büchern in London.

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ZÜGE, ZÜGE.

Einmal quer durch das, was sich immer noch Reich nennt, auch wenn es halb stolz, halb verzweifelt darauf beharrt, Republik zu sein. Edgar kümmert das Hickhack wenig. Politik stopft den Kopf voll wie hektische Hände, die Papier zu Kugeln zerknüllen und in überquellende Abfallkörbe pressen, bis nichts – kein Wort, kein Bild, kein Gedanke – mehr erkennbar ist. Damit kann er sich nicht befassen. Er braucht seinen Kopf so leer wie einen blank radierten Bogen auf dem Skizzenblock. Nur in solcher Leere ist er imstande, zu zeichnen, nur in solcher Leere besteht Hoffnung auf etwas, das sich einschleicht und festhalten lässt. Wenn er schnell ist. Wenn der Strich sich fügt, er einen guten Tag erwischt und nichts und niemand ihm dazwischenpfuscht. Im anderen Fall muss er die schweigsamen Kreaturen, die vagen Visionen ziehen lassen und auf neue warten.

Deshalb gefällt ihm dieses Reisen in Zügen. Weil nichts lange bleibt, weil alles, was in Sicht kommt, sich auch selbst wieder auswischt, statt die Hirnwindungen zu verstopfen, weil er es, wenn er aus- und in den nächsten Zug umsteigt, schon wieder vergessen hat. Glaubt, vergessen zu haben. In Wahrheit lauert es irgendwo darauf, aus der Vergessenheit emporzuschnellen, verändert, verfremdet, in ein Geheimnis gehüllt, und gerade so will er es haben. Seit Hamburg-Altona, wo er mit kaum nennenswerten Unterbrechungen seine achtundzwanzig Lebensjahre verbracht hat, hat er schon vier Züge genommen. Dieser nun, der Regionalzug von München nach Garmisch, ist der fünfte.

Man sitzt bequem darin. Und die Aussicht – dieser gewaltsam der Erde abgefaltete Drachenrücken aus Bergen – ist fantastisch. Edgar mag dieses Wort, mag es zu gern, um es häufiger zu benutzen.Fantastisch. Es taugt für all das, was zu viel Wucht und Freiheit und Zauber besitzt, um auf den dünnen Grat, den die Leute der Wirklichkeit zubilligen, gequetscht zu werden. Das Fantastische ist für die Leute ersponnen und erschwindelt. Für Edgar aber lässt es sich vom Wirklichen nicht trennen, so wenig wie sich entscheiden lässt, ob in den Bergen da draußen ein weißer, schlafender Drache haust oder ein naturwissenschaftliches Phänomen. Beides, denkt Edgar. Und etliches andere. Aber da wird es den Leuten dann zu viel, und sie pochen auf ihren schmalen, pfeilgeraden Grat.

Die Leute – ehrlich gestanden, hat Edgar mit denen ein Problem. Hier im Zug verspeisen sie Wurstsemmeln, die, wenn hineingebissen wird, ein schmatzendes Geräusch von sich geben, und versprühen Speicheltropfen und Krumen beim Ereifern:

»Sie auch unterwegs nach Garmisch?«

»Ja, ja, ein reizendes Fleckchen und früher so nett zum Erholen. Aber heutzutage weiß ein friedlicher Bürger ja nirgendwo mehr, woran er eigentlich ist.«

Edgar hat sich zum Lesen ein Buch mitgebracht, Rudolf SteinersMenschenrätsel, aber hier im Abteil mag er es nicht auspacken. Als könnte das Buch sich ebenso wie er vor den Leuten mit den Wurstsemmel-Geräuschen fürchten.

Zwischen Menschen und Leuten möchte er manchmal gern eine Trennlinie zeichnen, hinter die er sich zurückziehen könnte, weil er die einen versteht und die anderen nicht. Vielleicht versteht er auch beide nicht, aber unter den Menschen wagt er zumindest, sich zu bewegen. Er gilt als gesellig. »Na, alter Salonlöwe«, begrüßt ihn sein Bruder Helmuth, der selbst einer ist. Mit ihm zusammen oder allein zieht er durch Künstlerkneipen, Vernissagen, Atelierfeste, weil Gespräche mit Menschen ihn befeuern, auch wenn ihm vor den Leuten graut. Von Menschen fühlt er sich angezogen. Von manchen so sehr, dass es ihm zur Sucht wird, dass er sich an ihre Fersen heften muss wie ein hechelnder Hund an eine Spur.

Elis. Elis.

Ihr Name – auf der zweiten Silbe betont – rattert in seinem Kopf wie der Rhythmus, den der Zug hält:Ra-tam, ra-tam, E-lis, E-lis. Elis ist so sehr Mensch, wie die Berge, die vor dem Zugfenster aufblitzen, Berge sind. An denen lässt sich nicht rütteln, und an Elis auch nicht. Begegnet ist er ihr in der Hamburger Kunsthalle, in der AusstellungEuropäische Kunst der Gegenwart, in die sie mit ihrem klaren Kopf und ihren wachen Augen gekommen ist, um hinzusehen. Siebzehn Jahre alt. Andere werden siebzig, und ihre Augen kennen nichts als Schlaf.

Ihre Eltern hatten sich auch die Ehre gegeben, der Herr Kommerzienra