1. KAPITEL
„Und du bist wirklich sicher, dass es für dich in Ordnung ist?“, fragte Ruby besorgt.
„Völlig sicher“, schwindelte Abigail. „Ich freue mich sehr, dass Brad zugestimmt hat.“
Das war keine Lüge. Sie freute sich wirklich, dass ihr Ex-Mann nicht nur versprochen hatte, bei der Hochzeit seiner Zwillingsschwester zu erscheinen, sondern sogar bereit war, die Rolle des Brautführers zu übernehmen.
Seit der Beerdigung seines Vaters hatte er sich nicht mehr in Great Crowmell blicken lassen, und Ruby hatte schon Panik gehabt, dass er unter irgendeinem Vorwand der Hochzeit fernbleiben würde, weil er es immer noch nicht ertrug, nach Hause zu kommen.
Aber Bradley Powell hatte die Einladung seiner Schwester angenommen, und sie, Abigail, würde ihren einstigen Ehemann zum ersten Mal seit der Scheidung wiedersehen. Kein sehr angenehmer Gedanke, doch die fünf Jahre, die inzwischen vergangen waren, hatten sie klüger gemacht. Gelassener. Sie würde die Situation meistern, und zwar mit einem Lächeln, denn nichts sollte einen Schatten auf den großen Tag ihrer besten Freundin werfen.
„Du weißt, dass du mitbringen kannst, wen immer du willst“, versicherte Ruby ihr erneut.
Abigail schüttelte den Kopf. „Ich komme lieber allein. Als Brautjungfer muss ich mich um tausend Dinge kümmern, und ich will, dass deine Hochzeit perfekt wird.“ Es gab ohnehin niemanden, der sie hätte begleiten können. Seit der Trennung hatte sie so gut wie kein Date mehr gehabt, aber das war jetzt unwichtig. Es sei denn …
„Bringt Brad jemanden mit?“ Trotz ihres plötzlichen Herzklopfens gelang es Abigail, die Frage ganz beiläufig klingen zu lassen.
„Natürlichnicht! Er ist ja schließlich mit seinem Job …“ Ruby unterbrach sich mitten im Satz. „Sorry, Abby. Ich wollte nicht …“
„Schon gut.“ Abigail beschwichtigte ihre Freundin mit einer raschen Umarmung. „Dass er mit seinem Job verheiratet ist, war einmal ein großes Problem für mich, aber seit damals ist viel Zeit vergangen. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht zivilisiert miteinander umgehen sollten.“
Jedenfalls hoffte sie, dass es ihnen gelingen würde. Am Ende ihrer Ehe hatte Abigail alle klassischen Stadien des Trauerprozesses durchlebt: Leugnen, dass ihre Beziehung gescheitert war. Wut über Brads Uneinsichtigkeit. Verhandeln, um ihn zur Vernunft zu bringen. Depression, als sie erkannte, dass sie ihm nicht genug bedeutete. Und endlich die Akzeptanz, dass es vorbei war. All das verwoben mit Schuldgefühlen, weil die Trennung von ihr ausgegangen war.
Als sie die gemeinsame Wohnung verließ und zu ihren Eltern zurückzog, hatte Abigail fest damit gerechnet, dass der Schreck Brad die Augen öffnen würde. Dass er sie vermissen und endlich erkennen würde, dass sie ein Teil seines Lebens war.
Stattdessen hatte er ihren Auszug als Bestätigung genommen, dass alle recht gehabt hatten und sie zu jung für eine Ehe waren und es das Beste wäre, sie freizugeben, damit sie sich ein neues Leben aufbauen konnte.
Eine Scheidung war das Letzte gewesen, was sie gewollt hatte. Doch nach dem Tod seines Vaters hatte Brad eine Mauer aus Eis um sich errichtet. Er hatte Abigail ausgeschlossen und sich so tief in seine Arbeit vergrabe