2.1 Die Lehrkraft als Bibliologin
Gegenüber manchen Aspekten der traditionellen Lehrer*innenrolle erfordert der Bibliolog eine Umorientierung. Manche Elemente, die sonst häufig die Unterrichtsvorbereitung und den Unterricht prägen, verändern sich mit dem Bibliolog, denn
er orientiert sich nicht an überprüfbaren Bildungsstandards,
er verfolgt keine operationalisierbaren Lernziele (obwohl er natürlich mit bestimmten Absichten eingesetzt wird und Ergebnisse erreicht!),
er vermittelt keine vorher feststehenden Inhalte,
er führt nicht zu einer Überprüfung des Gelernten,
es wird keine Leistung bewertet.
Denn im Bibliolog legen die Schüler*innen die Bibel aus. Sie entscheiden, welche Aspekte des biblischen Textes in einem Bibliolog wichtig werden, wie diese gedeutet werden und was in einem Bibliolog herauskommt. Sie haben das Recht, Elemente des Textes oder auch Interpretationen, die in den Augen der Lehrkraft zentral sind, zu ignorieren und andere hervorzuheben, die die Lehrkraft vorher nicht gesehen hat (und möglicherweise im Nachhinein immer noch nicht zentral findet). Die Schüler*innen lernen nicht, was die Lehrkraft zuvor erarbeitet hat und ihnen methodisch geschickt vermittelt, sondern sie lernen in und aus der Begegnung mit dem biblischen Text selbst. Dabei darf jede Schülerin und jeder Schüler den Text anders verstehen und etwas anderes aus der Begegnung mit ihm mitnehmen. Was dies ist, wird nicht überprüft und muss auch nicht festgehalten werden. Ob und wie sich die Schüler*innen hörbar beteiligen, wird nicht bewertet, ebenso wenig wie ihre Äußerungen in ihrer Qualität eingeschätzt und nach dieser beurteilt werden. Bibliolog ist ein bewertungsfreier Raum im Klassenzimmer.
Dies betrifft allerdings nicht nur den Bibliolog. In ähnlicher Weise gilt dies auch für andere bibeldidaktische Ansätze, für Meditationen und performative Elemente, für das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen und teilweise auch für den freien Austausch auch in diesen Zusammenhängen wird nicht vermittelt, bewertet und überprüft. Gerade im Fach Religion, das mit existenziellen Themen zu tun hat und in dem es stärker um die Person geht als in anderen Fächern, gibt es solche bewertungsfreien Räume und Lehrkräfte entwickeln in der Regel mehr oder weniger bewusst eine Orientierung, was in die Bewertung einfließt und was nicht.
Im Bibliolog ist die Rolle der Lehrkraft, wenn sie den Bibliolog anleitet, jedoch besonders klar definiert. Auch wenn sie inhaltlich zurücktritt, ist sie die entscheidende Instanz, um den Schüler*innen eine ertragreiche Begegnung mit dem Bibeltext zu ermöglichen, in der sie wichtige Einsichten und Erkenntnisse gewinnen. Denn Erkenntnisprozesse von Subjekten benötigen Impulse von außen und Rahmenbedingungen, die Strukturen setzen und die Wahrnehmung produktiv lenken.
Von ihrer Vorbereitung einerseits und ihrer Durchführung des Bibliologs andererseits hängt viel ab, allerdings nicht im Sinne eines vorhersehbaren Ergebnisses: Ob die Begegnung zwischen Text und Teilnehmenden produktiv wird, bleibt immer unverfügbar. Auch ein noch so guter Bibliolog ist dafür keine Garantie. Ohne eine gute Vorbereitung und eine kompetente Durchführung wird es jedoch unwahrschei