: Catherine Lacey
: Das Girlfriend-Experiment Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841218131
: 1
: CHF 4.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Erkundung der Liebe in Zeiten der Künstlichkeit - »Catherine Lacey spielt in ihrer eigenen Liga.« The New York Times. In hypnotischen Sätzen zieht uns Catherine Laceys Roman hinein in das Girlfriend-Experiment, ins Leben gerufen von Kurt Sky, einem so berühmten wie exzentrischen Schauspieler. Die Geschichte um Kurt und die als »emotionale Freundin« angestellte Mary Parson zeigt uns eine artifizielle, doch allzu reale Welt und hinterfragt spielerisch die Konventionen, die unsere intimsten Momente bestimmen. Laceys Antworten auf diese Fragen sind höchst beunruhigend. »Das>must read< des Jahres. So analytisch wie menschlich, empathisch und entlarvend. Wie Don DeLillo für Millenials.« Vogue

Catherine Lacey wurde in Mississippi geboren und lebt in Chicago. Für ihren ersten Roman »Niemand verschwindet einfach so« wurde sie mit dem Whiting Award 2016 ausgezeichnet, das Granta Magazine zählt sie zu den wichtigsten jüngeren Autorinnen. Ihr zweiter Roman »Das Girlfriend-Experiment« wurde ebenfalls begeistert von der Kritik aufgenommen. Bettina Abarbanell arbeitet als Literaturübersetzerin in Potsdam. Sie hat u. a. Jonathan Franzen, Denis Johnson und F. Scott Fitzgerald übersetzt. 2014 Übersetzerpreis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung. Für ihre Arbeit an »Niemand verschwindet einfach so« wurde sie mit dem Brandenburger Kunstförderpreis ausgezeichnet.

Zwei


Fünf Jahre lang hatte ich ein Leben.

Meine Kindheit war nicht mein Leben – Merles vielleicht, aber nicht meins. Die Zeit bei Tante Clara war auch kein richtiges Leben gewesen, mehr so eine Art Wiedereingliederung. Und das College schon gar nicht, das war nur eine Phase der Reifung, vier Jahre der Warnung und Vorbereitung auf das Leben, das da kommen würde, dieses zukünftige Etwas.

Mein Leben begann im Flugzeug, in dem Moment, als wir abhoben. Wir stiegen auf, und ich weinte, so leise ich konnte, an Chandras Schulter, und als die Flugbegleiterin zu uns kam, bat Chandra sie um ein Glas heißes Wasser für ihren selbst mitgebrachten Teebeutel, hielt es trotz der Turbulenzen ruhig, bis der Tee Trinktemperatur hatte, und reichte es mir. Sie wusste so viel, wusste immer, wie man alles am besten machte. Sie breitete ihren riesengroßen Schal aus und legte ihn uns beiden um die Schultern, und ich schlief an sie gelehnt ein. Als wir aufwachten, Hand in Hand, landeten wir gerade in London, und Minuten später manövrierte sie uns durch Heathrow, wo sie sich auch schon auskannte. Nicht dass sie mir wie meine Mutter vorkam, aber irgendwie war ich trotzdem ihr Kind.

Was für mich die erste Reise war, muss für sie die hundertste gewesen sein, ein Geschenk ihrer Eltern Vivian und Oliver zu unserem Bachelorexamen. Viv und Olly nannte sie sie. Ich hatte während der Collegezeit die meisten Ferien und manches Wochenende bei ihnen in Montauk verbracht, weil ich sonst nicht wusste, wohin. Das Haus war voller teurer Gegenstände, die ihnen im Grunde nichts bedeuteten – angestoßene Antiquitäten, vergessene technische Spielereien, stapelweise zerkratzteCDs –, und es war nichts Ungewöhnliches, hinter Sofakissen oder in der Küche zwischen Süßigkeiten aus fremden Ländern Zwanzigdollarscheine zu finden. Beim Abendessen unterhielten sie sich lauthals und mit vollem Mund und stritten liebevoll über Bücher und Kunst. Sie machten Witze, die ich nicht verstand, aber ich lernte, trotzdem mitzulachen. Ich trank mit ihnen Wein, selbst als ich erst neunzehn war und schon ein kleiner Schluck mich leichtsinnig und müde machte.

Mit dem Rund-um-die-Welt-Zweimonatsticket von Viv und Olly begannen meine Jahre des besessenen Reisens. Ich sah die Galápagos-Vögel, die Kirschblüten in Japan, die ägyptischen Pyramiden, die Katakomben, die burmesischen Schlangenpagoden und diesen unheimlichen neon-blaugrünen See in Neuseeland. Ich liebte das Abreisen, sogar die frühen Fünf-Uhr-Flüge, stille, durch trostloses Purpurlicht ratternde U-Bahnwaggons, morgengraue Flughäfen voll matter Menschen. Irgendwo habe ich mal gelesen, wer auf Reisen sei, lerne zuallererst, dass er nicht existiere – ich wollte nicht aufhören, nicht zu existieren.

Zu Hause wuchsen die Schulden immer weiter an. Zu allen Tageszeiten riefen mich Fremde an und behelligten mich damit, was ich ihnen zurückzuzahlen hätte. Ich bekam Briefe mit großen, fett gedruckten Ziffern, jede höher als die vorangegangene. Andere Umschläge enthielten neue Kreditkarten, neue Auswege, neue Reisen. Ich fragte mich nicht mehr, wo ich als Nächstes hinfliegen könnte, sondern nur noch, was passieren würde, wenn ich nie zurückkehrte. Aber ich kehrte immer zurück. Und jedes Mal, wenn das Flugzeug auf der Rollbahn aufsetzte, hatte ich dieses schreckliche Gefühl, dass die Reise, von der ich gerade wiederkam, gar nicht stattgefunden, dass ich Hunderte Dollar für etwas ausgegeben hatte, woran ich mich kaum erinnern konnte.

Mit den Rückenschmerz