: Eduard Keyserling
: Feiertagskinder - Späte Romane Schwabinger Ausgabe, Band 2 - Herausgegeben und kommentiert - von Horst Lauinger, mit einem Nachwort von Daniela Strigl
: Manesse
: 9783641254049
: Schwabinger Ausgabe
: 1
: CHF 17.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 720
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Wer Keyserling liest, geht in Ferien.' Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung
Längst ist Eduard von Keyserling in aller Munde - als bemerkenswerteste Wiederentdeckung der modernen deutschsprachigen Literatur. Keiner beschreibt das Farbenspiel der Natur sinnlicher, suggestiver, keiner geht jedoch auch raffinierter mit seinen Figuren ins Gericht. Die Renaissance des genialen Seelenzeichners und Stimmungskünstlers verdankt sich ganz entscheidend dem Engagement des Manesse Verlags, zuletzt mit 'Landpartie', dem vielbeachteten Jubiläumsband 2018. Nach den gesammelten Erzählungen folgt nun der nächste Streich: die späten Romane in einer umfassend kommentierten Edition. Sie enthält die glänzenden Höhepunkte aus dem letzten Lebensjahrzehnt Keyserlings, neben 'Wellen' (1911) noch 'Abendliche Häuser' (1914), 'Fürstinnen' (1917) und 'Feiertagskinder' (1918/19).

Eduard von Keyserling (1855-1918) stammt aus altem baltischem Geschlecht, studierte Kunst und Jura und begann schon früh mit dem Schreiben. Als freier Schriftsteller lebte er zunächst in Wien, später in Italien und München, wo er der Schwabinger Boheme angehörte. Durch eine Krankheit erblindet, vereinsamte Keyserling in den letzten Lebensjahren zunehmend.

«Gewiss, meine Liebe», erwiderte er und richtete sich mit einem Ruck strammer auf, «was gibt es denn?» Er folgte seiner Frau ins Esszimmer, und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.

Die Generalin schüttelte unzufrieden den Kopf und bemerkte: «Bella überschätzt von jeher die Wirkung von Auseinandersetzungen. » Das Gespräch des Ehepaares dauerte ziemlich lange. Man hörte die Stimme des Barons, die pathetisch wurde, und Wedig flüsterte Nini zu: «Hör, eben hat der Papa gesagt: ‹poetisches Bedürfnis›.»

Hilmar und Lolo wurden sehr zerstreut bei ihrem Spiel. Endlich ging die Esszimmertür wieder auf, Frau von Buttlär kam in das Wohnzimmer, setzte sich schweigend an den Tisch und nahm ihre Häkelarbeit auf. Sie war blass, man sah es ihr an, dass sie geweint hatte.

Der Baron aber war in der Tür stehen geblieben und sagte feierlich: «Hilmar, bitte auf ein Wort.»

«Zu Befehl», erwiderte Hilmar und sprang auf. Er zog dabei die Augenbrauen zusammen, und sein Gesicht nahm einen Augenblick einen so zornigen Ausdruck an, dass Lolo ihn erschrocken anschaute. Dann verschwanden die beiden Herren hinter der Esszimmertür. Die Generalin zog die Augenbrauen hinauf und sagte: «Wozu diese Konferenzen gut sind, weiß ich nicht, zur Gemütlichkeit tragen sie nicht bei.»

«Nein, liebe Mutter», erwiderte die Baronin, indem sie eifrig forthäkelte, «ich bin ungemütlich und prosaisch, das habe ich eben gehört. Andere können gemütlich und poetisch sein, ich nicht. Ich bin wie der Gendarm, den jeder braucht und den keiner mag.»

«Aber Bella», wandte die Generalin ein. Fräulein Bork jedoch fand das schön. Sie fand das schön, die Mutterliebe als die Polizei für das Glück der anderen.

«Sie haben gut reden, liebe Bork», meinte die Baronin, und die Generalin wurde ärgerlich: «Ich sage nicht, dass einmal tüchtig dreinfahren nicht ganz nützlich sein kann, aber immer besser kurz und scharf, als lang und sauer.»

«Wer ist denn sauer?», fragte die Baronin, worauf die Generalin nichts erwiderte. Lolo ging währenddessen im Zimmer unruhig auf und ab, blieb an der Glastür stehen und schaute in die Dunkelheit hinein, dann öffnete sie die Tür und trat auf die Veranda hinaus. Der Wind, als hätte er auf sie gewartet, fiel sie sofort an, zerrte an ihrem Kleide, wühlte in ihrem Haar. Lautes Tönen flog durch die Finsternis wie Sausen großer, hastiger Flügel, ein hastiges, ausgelassenes Leben trieb hier in der Nacht sein Wesen, und Lolo stand da und atmete tief und angestrengt. Sie litt, aber da drinnen im Schein der Lampe war ihr Schmerz eine unerträglich nagende Qual gewesen, hier draußen konnte sie ihn als groß, fast als schön empfinden. Als sie dann hörte, dass die Esszimmertür ging und die beiden Herren wieder in das Wohnzimmer gekommen waren, öffnete sie ein wenig die Glastür und rief Hilmar. Hilmar trat zu ihr auf die Veranda hinaus. Sie standen einen Augenblick im Dunkelen still beieinander, Lolo hatte Hilmars Arm genommen und lehnte sich fest an ihn. Endlich sagte sie leise: «Hat er dir meinetwegen Vorwürfe gemacht?»

«Ach, er hat ja recht», erwiderte Hilmar, und seine Stimme klang gepresst und mutlos. «Alle haben sie recht, wenn du um meinetwillen leidest, dann bin ich ein gemeiner Hund. Ich durfte nicht zu dir kommen, du musst sicher und glücklich sein.»

Lolo begann jetzt wieder zu sprechen ganz sanft und tröstend: «Nein, du kannst nichts dafür, wir können beide nichts dafür. Es gibt manches in der Welt, das stärker ist als wir beide. Ich habe das jetzt verstanden. O, ich habe jetzt sehr viel verstanden. Früher glaubte ich, sich lieben ist Hand in Hand sitzen und sich lange Briefe schreiben. Aber jetzt weiß ich, sich lieben ist eine furchtbar große Sache, und da muss man auch die ganz großen Dinge tun können und – warum soll ich nicht auch leiden? Du leidest auch, und so viele, viele leiden. Nein, mein armer Hilmar, wenn ich auch keinen schicksalsvollen Mund habe, mit dem blauen Sonntagskittel ist es doch nichts. Aber sei ruhig, wir we