: Louis Weinert-Wilton
: Die Königin der Nacht
: MedienEdition Welsch
: 9783946554035
: 1
: CHF 2.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 220
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine unbekannte dunkle Fürstin verbreitet Angst und Schrecken in der Londoner Unterwelt. Man nennt sie die 'Königin der Nacht', und wer etwas über sie weiß, zieht es vor zu schweigen. 'Jack Beery, war vielleicht der erste, der sie leibhaftig zu Gesicht bekam, aber auch er sollte sie nie gesehen haben ... Eine Hand schnellte jäh in das Dunkel, und der entsetzte Mann fühlte einen sanften Schlag gegen sein Kinn, als ob ihn der Flügel irgendeines kleinen Nachtvogels gestreift hätte. Einige Atemzüge später warf er die Arme in die Luft und stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden.' Der kleine Taschendieb ist für immer verstummt und wird niemandem mehr berichten können. Die Königin verbirgt sich hinter einem Schleier mit einer silbernen Mondsichel, umgeben von drei flimmernden Sternen. Schattenhaft taucht sie auf und verschwindet ebenso rasch, selbst hartgesottene Verbrecher fliehen und lassen ihre Beute zurück, wenn sie ihrer ansichtig werden. Ein mysteriöser Thriller, der einen erst dann wieder loslässt, wenn man das Buch zu Ende gelesen hat.

Louis Weinert-Wilton ist ein Pseudonym von Alois Weinert (* 11. Mai 1875 in Weseritz/Bedruzice oder Tepl/Teplá; ? 5. September 1945 in Prag). Er war Redakteur, Dramatiker und kaufmännischer Leiter eines Prager Theaters. Zwischen 1929 und 1939 schrieb er elf Kriminalromane, mit denen er seinen Ruf als deutscher Edgar Wallace und Klassiker dieses Genres begründet hat. Seine spannungsreichen Whodunnit-Krimis haben hohe Auflagen erzielt und wurden in den sechziger Jahren verfilmt. Weinert-Wilton starb 1945 in einem tschechischen Konzentrationslager.

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Jack Beery war von Beruf ein harmloser, bescheidener Taschendieb, aber wenn er genügend getrunken hatte, was ziemlich häufig vorkam, ließ er sich auch auf großzügigere und gewagtere Unternehmungen ein.

Unerläßliche Voraussetzung hierfür war allerdings, daß die Sterne gut standen. Jack hatte zwar von der wunderbaren Astrologie nie im Leben etwas gehört, und seine Unbildung war so groß, daß er nicht einmal wußte, was ein Horoskop bedeutete, aber seit dem Tage, da er eine Brieftasche geklaut hatte, die nichts anderes enthielt, als einige blau beschriebene, sehr abgegriffene Blätter, war ihm so etwas wie eine Offenbarung von dieser geheimnisvollen Wissenschaft und ihrer außerordentlichen Bedeutung für das praktische Leben geworden.

An einem langweiligen, verregneten Oktoberabend hatte er in diesen Papieren etwas verständnislos und mit argen Zweifeln gelesen, daß Merkur Venus mit Jupiter in gutem Aspekt begegne, und daß daher kühne Ausführung der Pläne zu Erfolg und Vorteil führe. Als er aber einige Stunden später tatsächlich nebst verschiedenen nützlichen Kleinigkeiten zwei Taschenuhren und einige Börsen mit zusammen fünfzehn Pfund sechs Schillingen gezogen hatte, war sich Jack Beery vollkommen klar darüber, welch einen kostbaren Schatz er in seinen unscheinbaren Blättern besaß, und sein Glaube an das, was sie verkündeten, war fortan unerschütterlich.

Deshalb hielt er auch jetzt die Augen offen, da er eben von Hampstead nach Paddington hereinkam. Er hatte bis gegen Mitternacht mit einigen Zunftgenossen in der gemütlichen Bar „Zur schwarzen Bauchtänzerin“ ausgezeichneten Porter und ebenso ausgezeichneten Whisky getrunken und harrte nun gespannt und gerüstet der Dinge, die da kommen sollten. Denn es stand geschrieben: „Ein besonders guter Tag für Sie ist der 17. März, wenn Sie es verstehen, die außerordentlichen Gelegenheiten, die sich Ihnen bieten, zu erkennen und entschlossen auszunützen.“

Bis jetzt hatte Jack trotz eifrigster Umschau allerdings nichts von einer derartigen Gelegenheit wahrzunehmen vermocht. Die Leute, mit denen er im Bus vom Norden gefahren war, hatten nicht darnach ausgesehen, als ob bei ihnen etwas zu holen gewesen wäre, und die Straßen, die er nun fröstelnd durchwanderte, waren fast menschenleer. Hie und da fuhr ein Windstoß durch den gelben Nebel zwischen den Häusern und peitschte von dem verhangenen Himmel beißendes Schneewasser herab. Es war eine wenig einladende Nacht, und wenn die Verheißung der Sterne nicht gewesen wäre, hätte Jack schon längst wiederum irgendwo Unterschlupf gesucht. Aber er war augenblicklich zu abgebrannt, um eine todsichere Chance aufzugeben. Deshalb setzte er seinen Weg unverdrossen fort, aber er kam bis in die Nähe von Porchester Square, bevor seine Aufmerksamkeit durch eine Kleinigkeit außerordentlich in Anspruch genommen wurde.

Er hatte eben die Vorderfront eines vornehmen einstöckigen Hauses passiert und war um die Ecke in eine enge, dunkle Seitengasse gebogen, als er plötzlich halt machte. Sein scharfes Auge hatte entdeckt, daß einer der Fensterflügel in dem kaum fünf Fuß hohen Halbstock nicht ordentlich geschlossen war und bei jedem Windstoß bedenklich in den lockeren Riegeln klirrte.

Jack äugte eine Weile nach dem klappernden Fenster, dann ging er langsam einige Schritte weiter und überlegte. Er war zwar kein Fachmann in solchen Dingen, aber auch kein gänzlich unerfahrener Neuling, und die gediegene Vornehmheit des Hauses ermunterte entschieden zu einem kleinen Wagnis. Schließlich durfte er sich auf seinen Instinkt und seine Gewandtheit und vor allem darauf verlassen, daß ihm für diesen Tag von geheimnisvollen höheren Mächten ein besonderer Erfolg vorherbestimmt war.

Jack Beery kam rasch zu einem Entschluß, aber er war nicht der Mann, ein solches Unternehmen zu übereilen. Er stopfte sich trotz Sturm und Schnees