: Anselm Grün
: Den Zweifel umarmen Die eigene Krise als Zeichen des Vorankommens
: Kösel
: 9783641250294
: 1
: CHF 8.70
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: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwischen Zweifel und Gewissheit
Oft wird 'Zweifel' negativ gesehen. Wer zweifelt oder zaudert, verpasst sein eigenes Leben und wird verunsichert. Im Zweifel wird man passiv und verpasst das eigene Leben. Oft heißt es: 'Erfolgreich wird nur, wer sich nicht hinterfragt'. Anselm Grün geht der Frage nach, wie sich Zweifel und die Sehnsucht nach Gewissheit einander ergänzen und welche Rolle der Zweifel in unserem Leben spielt und wie wir mit der Verzweiflung umgehen, die immer wieder über uns kommt. Denn der Zweifel kann auch den Menschen weiterbringen, so Anselm Grün. Er kann verkrustete Strukturen aufbrechen und Neues erfahrbar machen.

Pater Anselm Grün, geboren 1945, ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, deren Cellerar (wirtschaftlicher Leiter) er 36 Jahre lang war. Als Kursleiter und geistlicher Begleiter ist er viel unterwegs. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und erreicht mit zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen Millionen von Menschen.

Zweifel und Glauben


Der Karmelit Reinhard Körner schreibt über die Beziehung von Glauben und Zweifel: Der Zweifel »entspricht der Eigenart Gottes und seiner Geheimnisse, die immer größer sind als das, was über sie gedacht und ausgesagt werden kann. Ein ehrliches geistliches Leben, das nicht Ideologie und ›Überzeugung‹, sondern dieWirklichkeit Gottes sucht, wird wenigstens von Zeit zu Zeit in die ›Krise‹ kommen müssen«. (Körner, Lex Spi1471) Für die katholische Theologie gehört der Zweifel wesentlich zum Glauben. Martin Luther dagegen sieht den Zweifel als Gegensatz zum Glauben. Er identifiziert den Zweifel mit dem Unglauben. Glauben bedeutet für Luther ein »Innesein der Wahrheit«. (BeinerTRE 770) Daher schließt er den Zweifel aus. Allerdings weiß auch Luther, »dass das Leben im Glauben immer von Zweifel und Anfechtung bedroht ist«. (Ebd. 770)

Der evangelische Theologe Paul Tillich sieht den Zweifel als ein Wesenselement des Glaubens: »Der unendliche Abstand zwischen Gott und Mensch kann niemals überbrückt werden, er ist identisch mit der Endlichkeit des Menschen… Der Glaube wäre nicht Glaube, sondern unio mystica, wenn er des Elements des Zweifels in sich beraubt wäre.« (Tillich, SysIII 275) Tillich nennt zwei Wege, den Zweifel in Gewissheit zu verwandeln: die Orthodoxie, die in der katholischen Kirche die Unterwerfung unter die Autorität wäre; und den Pietismus, der in der inneren Erfahrung die Möglichkeit des Zweifels beseitigen möchte. Aber beide Wege können den Zweifel nicht wirklich überwinden. Auch in der Einigung des Menschen mit Gott kann letztlich der Abstand zwischen Gott und dem Menschen nicht aufgehoben werden.

Tillich sieht den Grund für den Zweifel aber nicht nur im Abstand des unendlichen Gottes vom endlichen Menschen, sondern auch in der Endlichkeit des Menschen. »Endlichkeit schließt Zweifel ein, da nur das Ganze die Wahrheit ist. Aber kein endliches Wesen hat das Ganze. Daher bedeutet es Bejahung unserer Endlichkeit, wenn wir erkennen, dass der Zweifel zum Wesen des Menschen gehört.« (SysII 82) Dieser essenzielle Zweifel treibt den Menschen dazu, die Wirklichkeit immer wieder neu zu analysieren. Von diesem essenziellen Zweifel, der zum Wesen des Menschen gehört, unterscheidet Paul Tillich den existenziellen Zweifel. Der existenzielle Zweifel ist Ausdruck der Entfremdung des Menschen vom Sein, vom Ewigen, von Gott. »Wenn im Zustand der Entfremdung die Einheit mit dem Ewigen zerrissen ist, wird die Unsicherheit absolut und treibt zur Verzweiflung. Auch der Zweifel wird absolut und treibt den Menschen in einen Zustand, in dem er sich weigert, überhaupt eine Wahrheit anzunehmen.« (SysII 83)

Die Gedanken von Paul Tillich zeigen, dass wir Zweifel und Glauben von verschiedenen Seiten aus betrachten können. Wir können die Beziehung vom Wesen Gottes und vom Wesen des Menschen her bedenken. Und wir können über den Zweifel nachdenken, je nachdem der Mensch sich selbst und dem Neuen Sein, das in Christus erschienen ist, entfremdet ist oder ob er Anteil hat am Neuen Sein.

Bevor ich theologisch über die Beziehung von Zweifel und Glauben nachdenke, möchte ich einige biblische Beispiele anführen und sie auf unsere Situation von Zweifel und Glauben hin auslegen.

Biblische Beispiele für den Zweifel


Schon die Bibel bringt uns genügend Beispiele dafür, dass Glaube und Zweifel zusammengehören