1. KAPITEL
„Was habe ich eigentlich diesem Maverick getan?“ Naomi Price stieß frustriert den Stiefel in den Sand. „Wieso hat er es nur auf mich abgesehen?“
Toby McKittrick war gerade dabei, sein Pferd zu satteln. Er sah zu der Frau auf der anderen Seite des Gatters hinüber. Sogar wenn Naomi wütend war und vielleicht auch ein wenig ängstlich, bot sie einen beeindruckenden Anblick.
Sie war einen halben Kopf kleiner als er mit seinen gut ein Meter achtzig. Das lange kupferbraune Haar fiel ihr weich über die Schultern herab. In ihren schokoladenbraunen Augen blitzte die Intelligenz – im Moment allerdings durchsetzt von Sorge. Naomi trug eine weiße Sommerhose und ein weites hellgrünes Shirt mit einem weißen Spitzenoberteil. Ihre hellen Stiefel reichten bis zu den Knöcheln. Sie waren eindeutig nicht für eine Ranch gemacht.
„Dieser Maverick scheint ja hinter allen her zu sein. Ich nehme an, du warst jetzt einfach dran.“
„Maverick“ war bereits seit Monaten das Stadtgespräch der Bewohner von Royal in Texas. Er deckte die intimsten Geheimnisse der Menschen auf und setzte sie mit ihren tiefsten Ängsten und Sorgen unter Druck, indem er drohte, sie ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.
Toby hatte keine Ahnung, warum dieser mysteriöse Maverick das alles tat – gut, einige waren auf seine Erpressungen eingegangen und hatten gezahlt, aber in erster Linie schien es ihm einfach darum zu gehen, den Ruf seiner Opfer zu ruinieren. Und es ließ sich nicht leugnen: Er hatte Erfolg damit.
„Super“, murrte Naomi. „Einfach super.“
„Was genau hat er denn gesagt, das dich so früh am Morgen hierhergetrieben hat?“ Toby musterte sie aufmerksam. Für gewöhnlich zeigte Naomi sich erst gegen Mittag der Öffentlichkeit. Sie verließ nicht eher das Haus, bis sie von Kopf bis Fuß perfekt gestylt war.
„Sieh es dir selbst an.“ Sie reichte ihm das Smartphone, das sie aus ihrer Schultertasche gezogen hatte.
Toby schob den Hut in den Nacken und tippte das Display an. Sofort sah er, was Naomi so auf die Palme gebracht hatte.
Seit gut einem Jahr betrieb sie eine kleine Fashion-Show im Kabelkanal. Sie schrieb das Manuskript, produzierte die Show und war gleichzeitig ihr eigener Star. Sie hatte sich einen Namen damit gemacht, dass sie Frauen zeigte, wie sie gut aussehen konnten. Naomi war stolz auf das, was sie erreicht hatte. Sie arbeitete jeden Tag hart daran, die bestmögliche Show auf die Beine zu stellen, und ihre Zuhörerschaft wuchs.
Toby runzelte die Stirn, als er das Video betrachtete. Maverick hatte eine Parodie auf Naomis Show ins Netz gestellt. Er hatte eine Schauspielerin gefunden, die Naomi ziemlich ähnlich sah. Sie stand hinter einem Ständer mit Kleidern und seufzte und stöhnte, als hätte sie direkt vor der Kamera einen Orgasmus. Dann trat sie hinter dem Ständer hervor.
Jetzt begriff Toby, was Naomiwirklich aufgebracht hatte: Die Schauspielerin war aufgemacht, als wäre sie bereits im zweiten Jahr schwanger. Sie musste ihren riesigen Bauch mit beiden Händen abstützen.
„Oh, Mann …“
„Warte“, stöhnte Naomi. „Da kommt noch mehr.“
Die Schauspielerin begann jetzt zu sprechen. Mit einem breiten, vollkommen überzogenen texanischen Akzent.
„In diesem Sommer ist die Schwangerschaftsmode noch aufregender als sonst“, säuselte sie in die Kamera, während sie das lange rotbraune Haar über die Schulter zurückwarf und die Hände über den absurd aufgeblasenen Bauch gleiten ließ. „Vergessen Sie nicht, die Accessoires sind das Wichtigste. Tragen Sie einen hübschen Gürtel über dem Babybauch. Lenken Sie die Aufmerksamkeit darauf. Zeigen Sie der Welt, wie eine modebewusste Schwangere a