San Francisco, Kalifornien
Sechs Monate später
Brindel wollte die Scheidung.
Korrektur: Siebrauchte die Scheidung. Unbedingt.
Von Paul Latham …Doktor Paul Latham. Darauf bestand er.
Aufgeblasener Bastard.
Sie schaute aus dem Badezimmerfenster in die dahinterliegende Nacht. Die Lichter der Stadt sahen aus wie winzige Nadelspitzen, die Aussicht war selbst aus diesem Raum atemberaubend, und trotzdem war sie bereit, all das aufzugeben. Aber natürlich würde Paul sie nicht kampflos ziehen lassen. Nicht dass es ihm um sie oder um Liebe ging. Bei dieser absurden Vorstellung hätte sie beinahe laut gelacht, doch stattdessen nahm sie lieber einen Schluck Wein. War es ihr zweites oder drittes Glas? Egal. Sie trank den letzten Tropfen, überlegte, sich noch einmal nachzuschenken, dann verwarf sie den Gedanken und stellte das Glas auf die Marmorablage. Die Liebe, die sie und Paul vor fast zwei Jahrzehnten verbunden hatte, war schon vor langer Zeit stetig geschrumpft und schließlich gestorben, wie ein Wurm auf einem heißen Gehsteig. Alles, was geblieben war, war die schmucklose, herzlose Hülle ihrer Ehe. Nein, der Grund, warum er kämpfen würde, war der, dass er zu den Männern zählte, die nicht verlieren konnten. Weder in seinem Leben noch in seiner Ehe noch bei seiner Arbeit und schon gar nicht, was sie betraf.
Sie schüttelte den Kopf. Sie war ein solcher Dummkopf gewesen! Schon bald nach der Hochzeit hatte sie den Verdacht geschöpft, dass es ihm in erster Linie darum ging, dass sie seine beiden Söhne, Macon und Seth, großzog – beide genauso abstoßend wie ihr Vater. Nun, sie hatte ihre Pflicht getan.
Ärgerlich wischte sie das Make-up von ihrem Gesicht, entfernte sorgfältig die Reste und bemerkte ein paar nervende, störrische Fältchen, die dringend eine ordentliche Portion Botox benötigten. Mit festem Druck massierte sie eine pflegende Creme in ihre Haut, dann bürstete sie ihr Haar, bis es glänzte. Es war jetzt heller als ihr natürlicher Ton, um die grauen Strähnchen abzudecken, die sich in ihr Blond schlichen, und hatte einen teuren, modischen Schnitt. Perfekte Stufen umrahmten ihr Gesicht und fielen locker auf ihre Schultern.
Ihr Blick schweifte zu dem großen, begehbaren Kleiderschrank mit den beleuchteten Regalen voller Schuhe: High Heels, Pumps, Sandalen, Sneakers – Schuhe für jede nur erdenkliche Gelegenheit. In ordentlichen Reihen. Jedes Paar ein kleines Vermögen wert.
Wieso hatte sie bloß gedacht, Schuhe für Tausende von Dollars könnten die Leere in dieser Ehe wettmachen? Hinter den Schuhen befanden sich weitere Regale und Stangen voller Kleider, Hosen, Anzüge, Kostüme, Pullover – ausschließlich Designerware, ausschließlich hochpreisig –, die Roben sorgfältig mit Plastikhüllen geschützt, genau wie die teuren Handtaschen. Aus dem Augenwinkel sah sie das weiße Kleid, das sie bei ihrer Hochzeit getragen hatte – bei ihrer zweiten Hochzeit, um genau zu sein –, sah die Perlen funkeln, bewunderte die feine französische Spitze und krümmte sich innerlich, als sie daran dachte, wie sie in diesem Kleid durchs Mittelschiff der Kirche zu ihrem gut aussehenden, erfolgreichen Bräutigam geschritten war, voller Überzeugung, dass nun in Erfüllung gehen würde, wovon sie immer geträumt hatte. Trotz seiner Wutausbrüche während ihrer Verlobungszeit, trotz seines Dominanzgehabes, trotz der warnenden Worte ihrer Schwestern war sie fest entschlossen gewesen, sich und ihrer kleinen Tochter ein neues, »perfektes« Leben zu schenken.
Sie konnte ja nicht ahnen, wie sehr sie sich inDoktor Paul Latham getäuscht hatte.
Und jetzt … jetzt musste sie etwas tun. Bevor es zu spät war. Wenn es das nicht ohnehin schon war. Sie hatte die vierzig überschritten, und ihr Kind war fast erwachsen. Brindel öffnete den Bademantel und ließ ihn zu Boden fallen, dann nahm sie die Schultern zurück, drehte sich seitlich zu dem großen Ganzkörperspiegel und begutachtete ihren Bauch. Er war flach und fest. Ihr Blick wanderte hoch zu ihren Brüsten, die dank chirurgischer Unterstützung perfekt in Form waren, nach oben gerichtet, die Spitzen dunkle, vorwitzige Knospen. Ihre Beine waren lang und schlank, sogar leicht muskulös. Sie war noch immer attraktiv, konnte locker mit Frauen konkurrieren, die zehn, vielleicht sogar zwölf Jahre jünger waren als sie … Wenn es denn sein musste. Nicht da