Santas Sack
Als Eugen Maria Hutzel mit seiner siebenjährigen Tochter Jennifer durch den kleinen verschneiten Wald hinter der Siedlung lief, in der sein Haus stand, wusste er nicht, welche Wendung der Tag bringen würde. Denn er und seine Tochter fanden einen herrenlosen Sack.
Mitten im Wald.
Jennifer war der festen kindlichen Überzeugung, es sei der Sack des Weihnachtsmannes und man müsse ihn in Sicherheit bringen, weil doch die Nikolausgeschenke und Wunschzettel für das Christkind drin seien.
Also nahmen sie ihn mit, gegen den inneren Widerstand von Eugen, der den Sack nicht mal öffnen durfte, weil er doch dem Weihnachtsmann gehöre. Er schrieb seine Adresse und die Telefonnummer auf ein Blatt Papier, das Jennifer an einem Ast befestigte.
Sie waren gespannt, wer sich melden würde.
Eugen stieg aus der Dusche, rasierte sich, schnitt sich dabei mehrmals wie üblich und dämpfte die Blutungen mit nassem Klopapier auf den Wunden, als es an der Tür klingelte. Er schaltete die Videoüberwachungsanlage an und sah – den Nikolaus.
»Ja?«, sagte Eugen verdattert.
Der Nikolaus, standesgemäß in Rot mit schwarzen Stiefeln, weißem Nylonbart und Polyestermütze auf den falschen weißen Haaren, hob den Zettel. »Ist hier bei Hutzel?«
»Ja.«
»Sie haben meinen Sack gefunden«, sagte der heilige Mann.
Eugen trocknete sich notdürftig ab und stieg in seinen Bademantel. Seine Gattin war nicht da, und Jennifer wollte er nicht an die Tür schicken, wenn ein Fremder davorstand. Nikolaus hin oder her. »Ich komme runter. Einen Augenblick.«
»Jepp.«
Zwanzig Sekunden später öffnete er den Eingang. »Entschuldigen Sie, dass es gedauert hat.«
Der Nikolaus musterte ihn aus blauen Augen, deren Pupillen geweitet waren. Sehr geweitet. »Kein Problem, Chef. Wo ist mein Sack?«
Mit den Worten flog Eugen der Geruch von kaltem Rauch und Alkohol entgegen. Neben dem linken Nikolausstiefel entdeckte Eugen die Überreste eines Tütchens. »Woher weiß ich denn, dass es Ihr Sack ist?«
»Weil ich der Nikolaus bin.«
»Sehr komisch. Ich könnte auch ein Kostüm anziehen und behaupten, ich sei es.«
»Sie heißen aber Hutzel, Chef. Damit wären Sie höchstens einer meiner Elfen.« Der Mann fuchtelte mit den Armen. »Oder kennen Sie ein Lied, das heißt: Hutzel ist ein guter Mann?« Er lachte meckernd über seinen eigenen Witz. »Der heilige Hutzel. Das wäre doch was.«
»Ich darf doch sehr bitten.«
»Nein, Chef,ich bitte sehr. Und zwar um meinen Sack.« Jetzt klang der Nikolaus nicht mehr belustigt. »Oder sonst …« Er ließ die Drohung offen.
»Oder sonst was? Holen Sie Ihre Elfen oder Ihre Elche und hetzen sie auf mich?« Eugen gefielen weder der Ton noch das Aussehen; außerdem befürchtete er wegen der weiten, unbeweglichen Pupillen, dass sich etwas in dem Sack befand, das gegen das Betäubungsmittelgesetz verstieß.
»Nein. Sonst bekommen Sie« – der Mann beugte sich vor und senkte die Stimme drohend – »keine Geschenke mehr, Hutzel. Nie wieder.« Er schüttelte den Kopf. »Das ganze Leben nicht mehr.«
Eugen starrte ihn an. Von einem Anruf bei der Polizei bis hin zu einer Schlägerei zuckten ihm allerlei Ideen durch den Verstand, aber es war bald Heiligabend, und seine kleine Tochter befand sich nebenan, also mied er lieber Schwierigkeiten. »Warten Sie hier, Herr Nikolaus. Ich hole Ihnen Ihren Sack.«
»Danke, Hutzel. Und wenn Sie mal einen Job als Elf brauchen, schreiben Sie mir.« Er zwinkerte und hob den Daumen.
Eugen ging in den Wintergarten und fand dort Jennifer, umringt von ihren Puppen. Die Puppen hatten Tassen vor sich stehen, Pistolen auf dem Schoß liegen, Geldscheinstapel um sich herum, und die Gesichter waren w