Nach Hause kommen
»Hoffentlich ist Hrönn auch mitgekommen!« Ich drücke meine Stirn an das kleine Flugzeugfenster, aber ich sehe natürlich nichts von Akureyri außer ein paar Lichtern in der Dunkelheit, denn es ist sechs Uhr abends. Allerdings hätte sich mir drei Stunden früher auch kein anderes Bild geboten, denn im Dezember geht die Sonne in Island schon gegen drei Uhr nachmittags unter. Dabei wird es kurz vor Mittag erst hell! Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich mich kein bisschen drauf gefreut, meine Ferien an so einem dunklen Ort zu verbringen. Aber damals hatte ich auch noch keine Ahnung, dass Island das schönste Land der Welt ist. Wenn es nur drei Stunden hell ist, dann muss man eben zusehen, dass man in diesen Stunden möglichst viel davon sieht! Und zwar – wenn es nach mir geht – vom Rücken eines Islandpferdes aus!
»Und Björn! Hoffentlich hat sie Björn mitgebracht! Wie viel wächst so ein Baby in zwei Monaten? Zwei Monate! Ich kann nicht glauben, dass es schon so lange her ist! Ob er sich an mich erinnert? Und Eldur! Ob Eldur mich noch erkennt?«
Automatisch schließe ich einen Moment lang die Augen, als ich an Eldur denke, mein Islandpferd, und sehe ihn vor mir, in seinem kuscheligen Winterfell, mit den wunderschönen dunklen Augen und dem kleinen, fast kreisrunden Abzeichen auf seiner tiefbraunen Stirn. »Ich kann es nicht erwarten, Salka zu sehen«, fahre ich fort, ohne meiner Mom Zeit zum Antworten zu geben. »Sie wird gar nicht glauben können, dass ich da bin! Glaubst du, Magnus hat es geschafft, nichts zu verraten?« Magnus ist mein Papa, Hrönn ist seine Frau und Björn mein kleiner Halbbruder. Salka ist meine Freundin vom Nachbarhof, die Enkelin von Oskar, dem der Hof gehört, und der mir Eldur geschenkt hat, Eldur, mein wunderschönes Feuerpferd. Mein Pferd. Meineigenes Pferd.
Sarah, meine Mom, greift nach meiner Hand und lächelt. Wahrscheinlich, weil ich in meiner Aufregung laut denke. »Dein Vater hat bestimmt dichtgehalten«, sagt sie und drückt beruhigend meine Hand. »Und Hrönn auch.«
Viele Jahre lang war sie hauptberuflich meine Mom. Aber sie ist auch Sarah Martell, die Schauspielerin, die schon früh mit einer Fernsehserie bekannt wurde. Das war vor meiner Geburt, und seitdem hat sie nur noch kleine Rollen angenommen. Bis vor ein paar Monaten ein Angebot kam, das sie einfach nicht ablehnen konnte. Der Sender, der damals ihre Serie produziert hat, wollte ein »Zehn Jahre danach«-Special drehen, mit allen Schauspielern von damals. Und dafür musste sie zusätzlich zu den Studioaufnahmen drei Wochen lang reisen und an verschiedenen Schauplätzen drehen. Diese Zeit war durchgeplant und restlos ausgefüllt, da war definitiv kein Platz für ein mitreisendes Kind. Deswegen habe ich einige Wochen bei meinem Vater und seiner neuen Frau verbracht. In Island. Damals wusste ich noch nicht mal, dass Hrönn ein Baby erwartete und das Ganze war ein ziemlicher Schock für mich. Ich war eifersüchtig auf Dads neue Frau und auf mein ungeborenes Geschwisterchen gleich dazu. Damals habe ich Hrönn die Schuld an allem gegeben, obwohl ich genau wusste, dass sie für die Trennung meiner Eltern überhaupt nichts konnte.
Es hat etwas gedauert, bis ich sie richtig akz