1. KAPITEL
DER 8. JULI WAR ein Sonntag, und am darauffolgenden Montag brach ich aus West Hatch, dem Dorf in der Nähe von Salisbury, in dem wir lebten, nach Brandham Hall auf. Meine Mutter hatte mit meiner Tante Charlotte, die in London wohnte, ausgemacht, dass sie mich auf meiner Wegstrecke durch London begleiten sollte. Obwohl es mir zwischendrin in regelmäßigen Abständen den Magen umdrehte vor Aufregung, freute ich mich ganz unbändig auf diesen Besuch.
Die Einladung war folgendermaßen zustande gekommen: Maudsley war nie ein engerer Freund gewesen, was man schon daran merkt, dass ich seinen Vornamen gänzlich vergessen habe. Vielleicht wird er mir später noch einfallen: Das könnte eines dieser Dinge sein, vor denen meine Erinnerung noch zurückscheut. Aber damals redeten sich die Schüler nur selten mit dem Vornamen an. Der galt nur als lästige Bürde, wenn auch keine so schwere Bürde wie der zweite Vorname, den zu verraten schlichtweg dumm gewesen wäre. Maudsley war ein dunkelhaariger, schlanker Junge mit rundem Gesicht und hatte eine vorstehende Oberlippe, die seine Zähne entblößte; er war ein Jahr jünger als ich und tat sich weder in der schulischen Arbeit noch beim Sport hervor, aber er schummelte sich jedes Mal so mit durch, wie man so schön sagt. Ich kannte ihn recht gut, weil wir im selben Schlafsaal waren, und kurz vor der Tagebuchaffäre entdeckten wir, dass wir uns ganz gut leiden konnten, wir gingen immer nebeneinander (im Internat mussten wir nämlich in Zweierreihen gehen), zeigten einander unsere persönlichen Schätze und teilten uns sehr intime und daher prekärere Dinge mit, als Schuljungen sich normalerweise anvertrauen. Zu diesen Informationen gehörten auch unsere Anschriften; er erzählte mir, sein Zuhause heiße Brandham Hall, und ich erzählte ihm, wir wohnten in Court Place. Von uns beiden war er stärker beeindruckt, denn wie ich später entdeckte, war er ein Snob, was mir damals noch fernlag, außer in der Welt der Himmelskörper – da war ich der übelste Snob, den man sich vorstellen konnte.
Der Name Court Place nahm ihn für mich ein, und ich habe den Verdacht, dass sich auch seine Mutter davon beeindrucken ließ. Aber sie täuschten sich, denn Court Place war ein ziemlich gewöhnliches Haus, ein bisschen von der Dorfstraße zurückgesetzt, hinter girlandenartig befestigten Ketten, auf die ich ziemlich stolz war. Nun ja, so ganz gewöhnlich war es auch wieder nicht, denn ein Teil des Hauses war angeblich sehr alt. Es hieß, die Bischöfe von Salisbury hätten dort früher Hof gehalten, daher auch der Name. Hinter dem Haus hatten wir einen Morgen Garten, geteilt von einem Bach, zu dessen Pflege dreimal die Woche der Gärtner kam. Es war kein »Court« in dem volltönenden Sinne, von dem Maudsley wohl ausging.
Nichtsdestoweniger fiel es meiner Mutter nicht leicht, das Anwesen zu halten. Mein Vater war ein Sonderling gewesen, so kann man es wohl ausdrücken. Er hatte einen geschliffenen, präzisen Geist, der alles ignorierte, was ihn nicht interessierte. Ohne wirklich ein Menschenfeind zu sein, war er wenig sozial und unkonformistisch. Er hatte seine eigenen unorthodoxen Theorien zur Erziehung, und dazu gehörte, dass man mich nicht auf ein Internat schicken sollte. Solange er konnte, unterrichtete er mich selbst, mit Unterstützung eines Tutors, der aus Salisbury zu uns kam. Wäre es nach ihm gegangen, ich hätte nie den Fuß in eine Schule gesetzt, aber meine Mutter hatte es immer gewollt, und ich auch, und nach seinem Tod ging ich dann, sowie es möglich war. Ich bewunderte ihn und respektierte seine Ansichten, aber vom Gemüt her ähnelte ich eher meiner Mutter.
Seine Talente ließ er in seine Hobbys fließen, nämlich seine Büchersammlung und den Garten; als Brotberuf hatte er eine Routinebeschäftigung gewählt und war ganz zufrieden mit seiner Position als Bankdirektor in Salisbury. Meine Mutter regte sich über seinen mangelnden Unternehmungsgeist auf und war ein bisschen eifersüchtig und unduldsam gegenüber seinen Hobbys, denn wie es mit Hobbys nun mal so ist, er igelte sich ganz darin ein, und so brachte er es nie zu etwas, wie sie meinte. Wie sich herausstellte, irrte sie hier, denn als Sammler besaß er Geschmack und Voraussicht, und seine Bücher brachten uns eine Summe ein, die uns bei ihrem Verkauf in Staunen versetzte; tatsächlich verdanke ich es ihnen, dass ich von dringenden Geldsorgen im Leben verschont bleibe. Aber das war viel später; damals dachte meine Mutter Gott sei Dank noch nicht daran, seine Bücher zu verkaufen: Sie hielt die Dinge hoch, die er gemocht hatte, zum Teil auch aus dem Gefühl heraus, dass sie unfair zu ihm gewesen war; und wir lebten von ihrem Geld und der Pension von der Bank und dem bisschen Ersparten, das er hatte beiseite legen können.
Meine Mutter war zwar nicht sehr weltgewandt, aber das weltliche Treiben zog sie immer an; sie dachte wohl, dass sie unter anderen Umständen durchaus ihren Pla