ein teppich
ZOFIA steht auf der Schwelle zur Küche. Ihre Schwester Joanna steht an der Spüle vor dem Fenster, aus dem man auf die Backsteinmauer des Innenhofs schaut. Ihre Arme sind ganz im Wasser, sie ist völlig reglos. Ihr gelbes Kleid wird von einer weißen Kattunschürze geschützt, deren Bänder unten auf dem Rücken zu einer Schleife geknotet sind. Das dunkle Haar hat sie zu Zöpfen geflochten und am Kopf festgesteckt. Es sieht aus, als wäre der Fensterrahmen der Rahmen eines Gemäldes und Joanna das Motiv.
Zofia räuspert sich. Ihre Schwester dreht sich um und schaut sie an. Große Augen, flächige Lider. Ihre Augenbrauen sind dunkel und stark geschwungen; ihr Haar sieht in diesem dämmrigen Küchenlicht schwarz aus. Als wäre sie das Negativ zu Zofias Positiv.
Sie schauen sich an. Es ist ein fester Blick, keiner weicht dem anderen aus. Sie wissen beide, was die andere denkt, denn sie können ohne Worte miteinander sprechen. Und ihr Blick sagt Folgendes: Selbst in diesem Raum im Keller, in den Eingeweiden des Mietshauses, in dem man kein Geräusch von Automotoren oder menschlichen Stimmen hört, wo die Stadt zu einer stummen, imaginären Landschaft irgendwo dort draußen geworden ist, selbst hier hört man die Geschütze, fühlt man die Vibrationen.
Joanna senkt den Blick und schaut auf den Boden. Der Augenkontakt, der anfangs noch angenehm tröstlich war, ist plötzlich unangenehm entblößend. Angst liegt auf einmal in der Luft.
Zofia tritt über die Schwelle und geht zur Spüle. Sanft zieht sie Joannas Hände aus dem dampfenden Wasser und sieht, dass die Haut rot und entzündet ist. Und jetzt steht sie direkt neben ihrer Schwester, sie sieht, dass ihr dunkles Haar oben zwar glattgekämmt und straff zurückgenommen scheint, sich aber doch ein paar Strähnen aus den Nadeln gelöst haben und sich wie Schlangen um ihre feuchte Stirn und den Hals ringeln. Unter den Ärmeln ihres gelben Kleides sieht man dunkle Flecken.
Joanna hebt eine wunde Hand an die Stirn und versucht sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Zofia ist ihr behilflich, schiebt die Strähnen wieder in den Zopf, befestigt die Nadeln neu.
»Ich versuch das gerade sauberzukriegen«, sagt Joanna, »nur dieser Fleck hier will einfach nicht raus.«
Im Spülbecken liegt ein weißes Stoffbündel mit einem Fleck, der wie Rost aussieht, aber keiner ist. Es ist Blut. »Ich glaube nicht, dass der rausgehen wird«, meint Zofia sanft.
»Muss er aber«, sagt Joanna.
Zofia legt ihr eine Hand auf den Arm. »Du hast genug getan.«
Doch Joanna will nicht davon ablassen: Wieder taucht sie die Arme ins brühheiße Wasser und reibt energisch Stoff gegen Stoff. Sie nimmt noch mehr Natronlauge, noch mehr Seife. Die Haut auf einer ihrer Hände reißt und springt auf. Unbemerkt tritt unter Wasser ein Blutstropfen aus und bildet kleine Schlieren und Fäden, bevor er sich auflöst.
Da taucht Zofia beide Hände in die Spüle, greift Joannas zarte Handgelenke und versucht sie herauszuziehen. »Hör auf«, sagt sie. »Du musst aufhören.«
Joanna wehrt sich. »Nein. Nein.«
Doch Zofia ist die stärkere der beiden Schwestern, und Joanna gibt nach und stolpert von der Spüle weg. Zofia führt sie zu einem harten Holzstuhl, auf dem sie zusammenbricht, als würde sie in ihr Kleid hineinsinken, mitten in die gelben Falten. Sie bleibt still sitzen und starrt in die Luft, dann fängt sie an, ihre nassen Hände immer und immer wieder an der Schürze abzuwischen, wobei der raue Kattunstoff ihre Haut noch mehr aufreißt. Blutstropfen sickern in den groben Stoff. Sie blickt auf zu Zofia.
»Wo sind eigentlich alle?«, fragt sie.
»Es geht ihnen gut«, sagt Zofia.
»Und Pawel?«, fragt sie. »Wo ist Pawel.«
»Es geht ihm gut.«
»Hast du ihn oben allein gelassen?« Zofia gibt keine Antwort, und Joanna wird lauter. »Ja, du hast ihn allein gelassen. Du hast ihn allein gelassen.«
»Es geht ihm gut«, sagt Zofia. »Er übt.«
»Du musst ihn runterholen. Er kriegt doch Angst.«
»Der wird schon kommen, wenn er möchte.«
Zofia wendet den Blick ab. Es ist einfach zu intensiv. Sie legt Joanna die Hand auf die Schulter, wo sich die Knochen anfühlen, als wären sie direkt unter der Haut. Sie fühlen sich an wie die Knochen unter dem Fell eines