2. Kapitel
Der Innenraum der Kutsche war für vier Passagiere gedacht, außerdem gab es extra Sitzgelegenheiten auf dem Dach, doch diese waren bereits belegt. So musste Roan sich hineinzwängen; er quetschte sich in die äußerste Ecke auf eine unglaublich harte Bank, dabei berührten seine Knie die knochigen Beine seines Gegenübers – ein alter Mann, der ihn unverhohlen musterte. Neben dem alten Mann saß ein Junge, der vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein mochte. Er hatte die Mütze so tief in die Stirn gezogen, dass Roan nichts weiter von ihm sehen konnte als eine scharf geschnittene Nase und ein schmales Kinn. Auf den Knien hatte der Bursche einen kleinen zerschlissenen Koffer, den er mit beiden Armen an sich drückte.
Neben dem Jungen saß eine von zwei stämmigen Frauen, deren Spitzenhäubchen etwas zu knapp auf ihren Köpfen saßen, wo sich dichte kleine Löckchen um die Ohren kringelten. Zwillinge schienen sie nicht zu sein, aber sie sahen einander so ähnlich, dass Roan sie für Schwestern hielt. Sie trugen identische Kleider aus grauem Musselin, und über ihre breit gewölbte Brust spannte sich eine solche Menge an Spitze, dass man auf den ersten Blick an Zierüberwürfe dachte.
Das Auffälligste an den beiden Frauen war ihre Fähigkeit, ohne Pause zu reden. Sie saßen einander gegenüber, und keine schien auch nur einmal Luft holen zu müssen – sie erzählten und erzählten, seit Roan in die Kutsche gestiegen war, und fielen sich gegenseitig ins Wort. Außerdem sprachen sie sehr schnell und mit so starkem Akzent, dass er kein Wort verstand.
Als die frischen Pferde eingespannt wurden, ruckte die Kutsche. Es gelang Roan dennoch, seine Taschenuhr hervorzuholen, ohne jemandem seinen Ellenbogen ins Auge zu stoßen. Es war gerade halb eins vorbei. Sie würden bald abfahren, doch die hübsche junge Frau mit den glänzenden haselnussbraunen Augen, die ihm geholfen hatte, war nirgendwo zu sehen.
Sie war seine Rettung gewesen an einem ansonsten schrecklichen Tag, das Einzige, was die ganze Anstrengung irgendwie weniger ermüdend gemacht hatte. Es war zumindest für ihn eine Überraschung, wie hübsch Miss Cabot war, wahrscheinlich sogar hübscher als alle Mädchen, die er vor seiner Abreise aus New York gesehen hatte, und ganz sicher hübscher als alle, denen er bisher in England begegnet war. Vielleicht war das nicht so ungewöhnlich, schließlich war er in Liverpool angekommen, und der Hafen dort galt ganz sicher nicht als der schönste Ort der Welt. Ihre wohlgeformte Figur gefiel ihm außerordentlich, ihr Mund war groß und ihre Lippen voll und rot, außerdem hatte sie dunkle Wimpern, die ihre schönen mandelförmigen Augen umrahmten, die ihn eher an den Sommer als an den Winter erinnerten. Er hatte sich nicht dagegen wehren können, dass seine Männlichkeit aufgewacht war, als er sie in diesem kleinen Dorf zum ersten Mal gesehen hatte.
Die ältere Frau neben ihm setzte sich zurecht und rückte von der Außenwand ab, sodass sie fast den ganzen noch freien Platz auf der Sitzbank einnahm; zwischen ihnen gab es höchstens noch zehn Zentimeter Luft, das reichte nicht einmal für eine so zierliche Person wie Miss Cabot. Hatte sie sich etwa einen Platz auf dem Dach suchen