: Claretta Cerio
: Mein Capri
: mareverlag
: 9783866483651
: Meine Insel
: 1
: CHF 11.30
:
: Europa
: German
: 192
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wer heute nach Capri reist, dem kann vieles von dem alten Zauber, der den legendären Ruf der Insel begründet hat, entgehen. Claretta Cerio aber hat jene Zeit selbst erlebt: Als Tochter eines Deutschen und einer Italienerin auf Sylt und Capri aufgewachsen, verbrachte sie ihre intensivsten Jahre auf der Insel im Tyrrhenischen Meer, wo sie 1953 den Schriftsteller Edwin Cerio heiratete und zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten begegnete. Jetzt erzählt sie die Geschichte der Capreser Villen und ihrer Bewohner: Sie weiß, in welcher Gesellschaft Wladimir Iljitsch Uljanow in der Villa Rossa feierte, bevor er als Lenin bekannt wurde, weshalb Alfred Krupp sich von den Capresen verstanden fühlte und warum Brecht die Insel eine 'verdammte blaue Limonade' nannte. Sie berichtet von der parabelhaften Feindschaft zwischen dem Küstenstädtchen Capri und dem Bergdorf Anacapri, von der Schrulligkeit der deutschen Pensionsgäste der 1930er Jahre und von Göttern und Naturgeistern, die der einsame Wanderer noch heute trifft, wenn er sich fern von allem Massentourismus auf die steilen Pfade des Monte Solaro wagt.

Claretta Cerio, 1927 auf Capri geboren, verlebte die ersten Jahre ihrer Kindheit auf Sylt. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog ihre früh verwitwete italienische Mutter mit den vier Kindern zurück nach Capri. Claretta Cerio studierte Philologie an der Universität Neapel und promovierte über Capri in der deutschen Literatur. Sie ist Autorin von Romanen und Kriminalgeschichten und verfasste Texte für verschiedene Fotobücher über die Insel. Die meisten Bücher entstanden in deutscher Sprache. Heute lebt sie in der Toskana.

Capri eins und zwei


Für uns vier Geschwister war während der Kindheit Westerland auf Sylt unser Wohnort und Deutschland unsere Heimat. Wir sprachen von klein auf mit unserer Mutter italienisch und verlebten zweimal im Jahr mehrere Wochen bei unseren capresischen Verwandten, aber »Zuhause« bedeutete damals für uns die nordische Insel, und das änderte sich auch nach dem frühen Tod unseres Vaters nicht, der siebenunddreißigjährig 1934 starb. Nie hätte unsere Mutter seinen Bestimmungen zuwidergehandelt, deshalb blieb Capri weiterhin Ferienziel und eine Ausnahme, und Westerland war Alltag, unser normaler Lebensbereich mit seinen Regeln und Pflichten, vor allem der Schule.

Um für unseren Unterhalt zu sorgen, hatte unsere verwitwete Mutter die kleine, von unserem Großvater gegründete Friesenkeksfabrik übernommen, und durch diese Arbeit konnte sie in ausreichendem Maße für uns sorgen. Da brach der Krieg aus, für die Herstellung von Friesenkeks bekam man keine Zutaten mehr, die Produktion musste eingestellt werden, und der Bäcker, die Packerinnen und das Ladenfräulein wurden zum Kriegsdienst einberufen. Ohne Einkommen war uns auf Sylt die Lebensgrundlage entzogen, und unsere Mutter beschloss, vorläufig mit uns Kindern nach Capri in die Pension Weber zu ihrer Schwester zu ziehen, um das Ende des Krieges abzuwarten, das sie als baldig voraussah.

Wie bekannt dauerte der Krieg sechs Jahre. Während dieser Zeit rückte Westerland, besonders für meine jüngeren Geschwister, in nebulöse Ferne ab, und als endlich der Friede kam, gab es dort oben im Norden nichts mehr, zu dem wir hätten zurückkehren können. Inzwischen, fast unmerklich, war Capri unser »Zuhause« geworden.

In meinem Bewusstsein gibt es zwei Capri. In das eine bin ich hineingeboren; das andere ist, wenn man so sagen kann, das Resultat meiner eigenen Entschlüsse, Neigungen, Instinkte, Begegnungen.

Capri eins wurde mir in die Wiege gelegt, denn unsere Mutter, die auch in den Jahren ihrer Ehe in Deutschland eine sehr enge Bindung zu ihrer italienischen Heimat behalten hatte, bezog uns Kinder in alles ein, was ihr die Insel bedeu