: Joachim Sartorius
: Mein Zypern
: mareverlag
: 9783866483682
: Meine Insel
: 1
: CHF 11,40
:
: Reiseberichte, Reiseerzählungen
: German
: 192
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zypern - das ist Weltgeschichte als Inselgeschichte. Aufgrund ihrer strategischen Lage war die Insel stets Objekt der Begierde fremder Mächte. Alle waren hier: Phönizier, Griechen, Römer, Byzantiner, Kreuzritter, Venezianer, Genuesen, Osmanen, Briten. Und alle haben Spuren hinterlassen: Die eindrucksvollsten Denkmäler - nach den römischen und frühbyzantinischen Ruinen von Salamis - stammen aus fränkischer und venezianischer Zeit, wie die Abtei von Bellapais, der befestigte Hafen von Kyrenia, die prächtigen Kathedralen von Nikosia und Famagusta, wo ShakespearesOthello spielt. Drei Jahre hat Joachim Sartorius auf Zypern gelebt - jetzt kehrt er dorthin zurück, zu den Kulturen und Legenden, zu Farben und Licht der Levante. Er spürt den vielen historischen und seelischen Sedimenten nach, der bewegten Geschichte der Insel, ihrer Teilung nach der türkischen Invasion im Jahre 1974 und der schwierigen aktuellen Situation. Und doch ist dieses Buch nicht das eines Historikers oder Politologen, sondern das eines Dichters, der an der Hand guter Freunde - Inselgriechen wie Inseltürken - Zypern zu verstehen sucht.

Joachim Sartorius, geboren 1946, ist Lyriker, Übersetzer und Publizist und hat u. a. die Werkausgabe von 'Malcolm Lowry' und den 'Atlas der neuen Poesie' herausgegeben. Er wuchs in Tunis auf und verbrachte zwei Jahrzehnte im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul und Nikosia. Bis 2000 war Joachim Sartorius Generalsekretär des Goethe-Instituts, von 2001 bis 2011 war er Intendant der Berliner Festspiele. Er lebt und arbeitet in Berlin.

»Herrlich fruchtbar und für seine Zitronen überall gerühmt«


Am Tag des Einzugs saß ich abends auf der Terrasse unter den Bögen. Die Kinder, Anna und Andrea, schliefen schon. Wir hatten nur das Nötigste aus Nikosia mitgenommen, Laken, Handtücher, Flipflops, ein paar Bücher und Taucherbrillen, und am Nachmittag, nach der Ankunft, in Lapithos noch eingekauft. Bei demBakkal gab es alles: duftendes Brot, Salat, Gemüse, Kaffee, Kardamom,Pastırma, den von den Türken so geliebten, scharf gewürzten Rinderschinken, dann Kerzen undBaklava, die von Honig troffen, und einen Karton »Lal«, einen Roséwein vom türkischen Festland, dessen frischen, kühlen Biss ich schätzte, vor allem an heißen Sommertagen.

Von dem Haus hatten wir behutsam Besitz genommen. Wir teilten die Schlafzimmer auf. Ein Aquarell von Niki Marangou, einer guten Freundin aus Nikosia, stellte ich auf den Kaminsims. In der Küche verstauten wir unsere Einkäufe. Sie war, gemessen an der Großzügigkeit der anderen Räume, erstaunlich klein und nur mit dem Allernotwendigsten ausgestattet. Unter den Tellern aus hellgrünem Pressglas fand ich einen größeren bemalten Keramikteller, der – wie sich bald herausstellte – der einzige Gegenstand mit einem unmittelbaren Bezug zum Erbauer des Hauses war. Ich besitze diesen Teller noch heute. Sein Durchmesser beträgt 35 Zentimeter. Ein breiter schwarzer Rand ist oben und unten durch Schriftzüge unterbrochen. Oben steht in Versalien: »AUSTEN HARRISON«, und unten: »LAPITHOS«. Die weiße Innenfläche nimmt in der Vertikalen eine hohe, schlanke Figur ein, ohne Zweifel Sir Austen selbst. Diese Figur trägt lange, weite weiße Hosen und eine weiße Tunika Über dem gelbbraunen Fuchsgesicht ein wild zerzauster Haarschopf. In den Händen trägt die Figur einen breiten Zollstock, das Insignium des Architekten. Das Ganze ist leicht hingestrichelt, sehr spielerisch. Der Baumeister tänzelt, eine helle, lichte, einnehmende Gestalt. Dieser Teller ver