Kapitel 1.
Eine mysteriöse Ankunft.
HALLO“, sagte der Junge. „Hallo“, antwortete Trot und sah überrascht auf.
„Wo kommst du denn her?“
„Philadelphia“, sagte er.
„Du liebe Güte“, sagte Trot, „Du bist also weit weg von zu Hause.“
„So weit ich es in diesem Land sein kann“, antwortete der Junge und blickte über das Wasser hinaus. „Ist das nicht der Pazifik?“
„Natürlich.“
„Warum natürlich?“, fragte er.
„Weil es die größte Menge Wasser auf der ganzen Welt ist.“
„Woher weißt du das?“
„Käpt’n Bill hat es mir gesagt“, sagte sie.
„Wer ist Käpt’n Bill?“
„Ein alter Seemann, der ein Freund von mir ist. Er lebt auch in meinem Haus – dem weißen Haus, das du dort auf dem Steilhang siehst.“
„Oh, ist das dein Zuhause?“
„Ja“, sagte Trot stolz. „Ist es nicht hübsch?“
„Es ist ziemlich klein, scheint mir“, antwortete der Junge.
„Aber es ist groß genug für Mutter und mich und für Käpt’n Bill“, sagte Trot.
„Hast du keinen Vater?“
„Doch, natürlich. Käpt’n Griffith ist mein Vater, aber er ist die meiste Zeit unterwegs und segelt auf seinem Schiff umher. Du mußt ein Fremder in dieser Gegend sein, kleiner Junge, wenn du nichts über Käpt’n Griffith weißt“, fügte sie hinzu und sah ihre neue Bekanntschaft aufmerksam an.
Trot war selbst nicht sehr groß, aber der Junge war noch kleiner als sie. Er war dünn und hatte einen eher blassen Teint, und seine blauen Augen waren rund und ernst. Er trug ein Hemd, eine kurze Jacke und kurze Hosen. Unter seinem Arm hielt er einen alten Regenschirm, der so groß war wie er selbst. Einst war der Überzug aus dickem, braunem Stoff gewesen, aber die Farbe war bis auf die Falten zu einem trüben Graubraun verblichen, und Trot fand, daß er sehr altmodisch und gewöhnlich aussah. Der Griff war allerdings wirklich ungewöhnlich. Er war aus Holz und so geschnitzt, daß er einem Elefantenkopf ähnelte. Der lange Rüssel des Elefanten war gekrümmt, um einen Bogen für den Griff zu bilden. Die Augen des Tieres waren kleine rote Steine und es hatte zwei winzige Stoßzähne aus Elfenbein.
Die Kleidung des Jungen war teuer und von guter Qualität, bis hin zu seinen feinen Seidenstrümpfen und braunen Schuhen, aber der Regenschirm sah alt und unansehnlich aus.
„Es regnet doch überhaupt nicht“, bemerkte Tot mit einem Lächeln.
Der Junge warf einen Blick auf seinen Regenschirm und drückte ihn fester an sich. „Nein“, sagte er, „aber Regenschirme sind auch für andere Dinge als für Regen gut.“
„Hast du Angst, einen Sonnenstich zu bekommen?“, fragte Trot.
Er schüttelte den Kopf und blickte immer noch weit über das Wasser hinaus. „Ich glaube nicht, daß dieser Ozean größer ist als irgendein anderer“, sagte er. „Ich kann nicht mehr davon sehen als vom Atlantik.“
„Du würdest es herausfinden, wenn du darüber segeln müßtest“, erklärte sie.
„Als ich in Chicago war, habe ich den Michigansee gesehen“, fuhr er verträumt fort, „und er sah genauso groß aus wie dieses Gewässer.“
„Bei den Ozeanen urteilt man nicht dem Aussehen nach“, sagte sie. „Deine Augen können eben nur so weit sehen, ob du nun einen Teich oder ein großes Meer betrachtest.“
„Dann macht es keinen Unterschied, wie groß ein Ozean ist“, antwortete er. „Was sind das für Gebäude da drüben?“; er deutete nach rechts, zum Ufer der Bucht.
„Das ist die Stadt“, sagte Trot. „Die meisten Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Fischen. Die Stadt ist eine halbe Meile von hier entfernt, und mein Haus ist fast eine halbe Meile in die andere Richtung entfernt, also ist es ungefähr eine Meile von meinem Haus in die Stadt.“
Der Junge setzte sich neben sie auf den flachen Felsen.
„Magst du Mädchen?“, fragte Trot und machte ihm Platz.
„Nicht so sehr“, antwortete der Junge. „Einige von ihnen sind ganz in Ordnung, aber nicht viele. Die Mädchen mit Brüdern sind herrisch, und die Mädchen ohne Brüder sind zu empfindlich. Aber die Welt ist voll von beiden Arten, und deshalb versuche ich, sie so zu nehmen, wie sie sind. Sie können natürlich nichts dafür, daß sie Mädchen sind. Magst du Jungs?“
„Wenn sie sich nicht aufspielen oder grob sind“, antwortete Trot. „Meine Erfahrung mit Jungs ist, daß sie nicht viel wissen, aber denken, daß sie es tun.“
„Das stimmt“, antwortete er. „Ich mag Jungs nicht viel mehr als Mädchen, aber einige sind in Ordnung, und – du scheinst auch in Ordnung zu sein.“
„Vielen Dank“, lachte Trot. „Du bist auch nicht so übel, und wenn wir uns nicht beide als schlechter herausstellen, als wir zu sein scheinen, sollten wir Freunde werden.“
Er nickte ziemlich abwesend und warf einen Kieselstein ins Wasser. „Warst du in der Stadt?“, fragte er.
„Ja. Mutter wollte etwas Wolle aus dem Laden. Sie strickt Käpt’n Bill einen Strumpf.“
„Trägt er nur einen?“
„Er braucht nur einen. Käpt’n Bill hat ein Holzbein“, erklärte sie. „Deshalb segelt er nicht mehr. Ich bin froh darüber, denn Käpt’n Bill weiß alles. Ich glaube, er weiß mehr als jeder andere auf der ganzen Welt.“
„Pah!“, sagte der Junge. „Da glaubst du aber viel. Ein einbeiniger Seemann kann nicht viel wissen.“
„Warum nicht?“, fragte Trot ein wenig entrüstet. „Leute lernen nicht mit den Beinen, oder?“
„Nein, aber sie kommen ohne Beine nicht herum, um Dinge herauszufinden.“
„Käpt’n Bill ist genug herumgekommen, als er noch zwei fleischerne Beine hatte“, sagte sie. „Er ist zu beinahe jedem Land der Erde gesegelt und hat alles herausgefunden, was die Leute dort wußten, und vieles mehr. Er war einmal auf einer einsamen Insel gestrandet und ein anderes Mal versuchte ein Kannibalenkönig, ihn zum Abendessen zu kochen, und eines Tages jagte ihn ein Hai eine Wegstunde weit durch das Wasser, und – “
„Wie weit ist eine Wegstunde?“, fragte der Junge.
„Es ist eine Entfernung, wie eine Meile. Aber eine Wegstunde ist keine Meile, weißt du.“
„Wieviel dann?“
„Du mußt Käpt’n Bill fragen. Er weiß alles.“
„Nicht alles“, widersprach der Junge. „Ich weiß einige Dinge, die Käpt’n Bill nicht weiß.“
„Wenn du das tust, bist du ziemlich schlau“, sagte Trot.
„Nein, ich bin nicht schlau. Einige Leute denken, ich bin dumm. Ich schätze, das bin ich auch. Aber ich weiß von ein paar Dingen, die wunderbar waren. Käpt’n Bill weiß vielleicht mehr als ich – eine Menge mehr – aber er kann gewiß nicht die gleichen Dinge wissen. Wie heißt du eigentlich?“
„Ich bin Mayre Griffith, aber jeder nennt mich ‚Trot‘. Das ist ein Spitzname, den ich bekam, als ich noch ein Baby war, denn ich bin so schnell getrottet, wenn ich gelaufen bin, daß es zu passen schien. Und wie heißt du?“
„Helles Köpfchen.“
„Wie bist du denn dazu gekommen?“
„Wozu?“
„Zu so einem komischen Namen.“
Der Junge machte ein finsteres Gesicht. „Genau wie du zu deinem eigenen Spitznamen gekommen bist“, antwortete er düster. „Mein Vater hat einmal gesagt, daß ich ein helles Köpfchen bin, und es hat jeden zum Lachen gebracht. Also nennt man mich immer Helles Köpfchen.“
„Und wie lautet dein echter Name?“, erkundigte sie sich.
„Saladin Paracelsus de Lambertine Evagne von Smith.“
„Ich schätze, ich werde dich Helles Köpfchen nennen“, sagte Trot seufzend. „Die einzige Alternative wäre ‚Salad‘ und ich mag keinen Salat. Findest du es nicht schwer, deinen ganzen Namen zu nennen?“
„Ich versuche es gar nicht erst“, sagte er. „Er ist noch viel länger, aber ich habe den Rest vergessen.“
„Danke“, sagte Trot. „Oh, hier kommt Käpt’n Bill!“, rief sie, als sie über die Schulter blickte.
Auch Helles Köpfchen drehte sich um und sah den alten Seemann ernst an, der humpelnd auf dem Weg auf sie zukam. Käpt’n Bill war kein sehr hübscher Mann. Er war alt, nicht sehr groß, etwas dick, mit einem runden Gesicht, einem kahlen Kopf und einem ausgefransten rötlichen Bartkranz unter seinem Kinn. Aber seine blauen...