: Theodor Fontane
: Ellernklipp Nach einem Harzer Kirchenbuch
: Aufbau Verlag
: 9783841217981
: 1
: CHF 4.50
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 135
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mord unterm blutroten Mond. Die unerhörte Spannung zwischen Vater und Sohn, die dasselbe Mädchen lieben, entlädt sich auf Ellernklipp, einem markanten Punkt in der Nähe des Harzortes Emmerode (Wernigerode). Während die Tat den einen vernichtet, bringt sie den anderen an das Ziel seiner Wünsche. Doch die Eifersucht ist nicht nur eine zerstörerische, sie ist vor allem eine selbstzerstörerische Macht. Fontanes berühmte Kriminalerzählung beruht auf wahren Begebenheiten.

Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Nach vierjähriger Lehre arbeitete er in verschiedenen Städten als Apothekergehilfe und erwarb 1847 die Zulassung als »Apotheker erster Klasse«. 1849 gab er den Beruf auf, etablierte sich als Journalist und freier Schriftsteller und heiratete 1850 Emilie Rouanet-Kummer. 1855 bis Anfang 1858 hielt er sich in London auf, u. a. als »Presseagent« des preußischen Gesandten. Zwischen 1862 und 1882 kamen die »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« heraus. Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als Kriegsberichterstatter und Reiseschriftsteller war Fontane zwei Jahrzehnte Theaterkritiker der »Vossischen Zeitung«. In seinem 60. Lebensjahr trat er als Romancier an die Öffentlichkeit. Dem ersten Roman »Vor dem Sturm« (1878) folgten in kurzen Abständen seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen sowie die beiden Erinnerungsbücher »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.

Erstes Kapitel
Hilde kommt in des Heidereiters Haus


In einem der nördlichen Harztäler, in Nähe der Stelle, wo das Emmetal in das flache Vorland ausmündet, lagen in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Dorf und Schloß Emmerode; jenseits des Dorfes aber, einige hundert Schritte weiter talaufwärts, wurd ein einzelnstehendes, hart in die Bergwand eingebautes Haus sichtbar, das in seiner Front ein paar Steinstufen und eine Vorlaube von wildem Wein und über der Tür ein Hirschgeweih zeigte. Hier wohnte Baltzer Bocholt, ein Westfälinger, der in jungen Jahren in Kur-Trier als Soldat gedient hatte, späterhin aber nach Emmerode gekommen und um seiner guten Führung willen erst ein gräflicher Heidereiter und einige Jahre später, durch Heirat mit des alten Erbschulzen Aleswant einziger Tochter, ein über seinen Stand hinaus vermöglicher Mann geworden war. Er hatte nun Haus und Hof und Amt und Frau, dazu den Respekt in Dorf und Schloß, und ging stolz und aufrecht einher und freute sich seines Glückes, bis er nach einer elfjährigen friedfertigen Ehe zum ersten Male den Unbestand alles Irdischen an sich selbst erfahren mußte. Die Frau starb ihm plötzlich und ruhte jetzt – seit zwei Monaten erst – an der Berglehne drüben, die, dreifach abgestuft, auf ihrer untersten Stufe den von Mauer und Stechpalmen umfaßten Kirchhof, auf ihrer mittleren die kleine Kapellenkirche zum Heiligen Geist und auf ihrer höchsten das zacken- und giebelreiche Schloß der alten Grafen von Emmerode trug.

Es war im September und der Heidereiter eben von Ilseburg zurück, wohin er sich, um ein eisernes Gitter für das Grab seiner Frau zu bestellen, in aller Frühe schon begeben hatte, als er Pastor Sörgels alte Doris über die Straße kommen und gleich darauf in den Flur seines Hauses eintreten sah.

»Nun, Doris, was gibt’s?«

»’nen Brief vom Herrn Pastor.«

Und der Heidereiter, der noch in seinem Staatsrock war und eben erst Miene machte, den Hirschfänger abzulegen, nahm ihr den Brief ab und las ihn, nachdem er sich mit einem Anfluge von Wichtigkeit ans Fenster gestellt hatte. »Die Muthe Rochussen ist diese Nacht gestorben, und ihr Kind ist bei mir. Ich wünsche mit Euch vertraulich darüber zu sprechen und sehe demnächst Eurem Besuch entgegen.«

Baltzer Bocholt klappte das Papier wieder zusammen und ließ mit seinem »ergebensten Empfehl« zurücksagen, daß er sich gleich die Ehre geben und vor Seiner Ehrwürden erscheinen würde, bei welchem Titel, als ob ihr derselbe mit gegolten hätte, Doris einen Dankesknicks vor dem Heidereiter machte. Dieser aber sah ihr nach und beobachtete von seinem Fenster aus, wie sie, statt über den Brückensteg, über die sechs Steine ging, die durch den Bach gelegt waren, und eine Minute später in dem Vorgarten der halb schon unter den Kirchhofsbäumen versteckten Pfarre verschwand.

Inzwischen hatte des Heidereiters Magd oder, um ihr ihre volle Ehre zu geben, die stattliche Person von über dreißig, die seit dem Tode der Frau dem Hauswesen vorstand, ein Frühstück aufgetragen. Aber Baltzer Bocholt setzte sich nicht, weil ihn der Brief doch unruhig oder neugierig gemacht hatte, und keine halbe Stun