: Lee Child, Joseph Bruchac, Michael Connelly, Jeffery Deaver, Barbara Demarco-Barrett, Maggie Estep,
: USA Noir
: CULTurBOOKS
: 9783959881364
: 1
: CHF 7.80
:
: Anthologien
: German
: 344
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein packendes literarisches Länderporträt Spannende Geschichten herausragender Autor/innen Ein abenteuerlicher Roadtrip quer durch die USA »Eine bessere Kurzgeschichtensammlung ist schwer zu finden - egal in welchem Genre.« Publishers Weekly Von Küste zu Küste: 14 herausragende Autorinnen und Autoren - von den Superstars der Szene bis zu literarischen Geheimtipps - nehmen Sie mit auf eine abenteuerliche Reise quer durch die USA. Vom brodelnden New York und den dicht besiedelten Städten der Ostküste über die Berge und Städte des Landesinneren bis zu den mythendurchdrungenen und hitzeflimmernden Metropolen der Westküste. Starke Literatur, die berührend und spannend von den Schattenseiten des amerikanischen Traums erzählt. Von einer bunt schillernden Gegenwart voller ungewöhnlicher Milieus abseits der üblichen Touristenpfade. Von Tagträumern, Zockern, Kriegsveteranen, Aussteigern, Billigjobbern, korrupten Polizisten, Trickbetrügern, Drogenhändlern, Privatdetektiven und ganz normalen Menschen, die in Situationen geraten, die sie nicht mehr kontrollieren können. 14 kraftvolle, dichte Geschichten mit ungewöhnlichen Settings und Figuren - so abwechslungsreich und aufregend wie die USA selbst. Die Reihe: »USA Noir« ist nach »Berlin Noir« und »Paris Noir« der dritte Teil einer Reihe internationaler Noir-Anthologien mit exklusiv geschriebenen Originalgeschichten. Jede Story spielt in einem anderen Viertel einer Stadt oder einer anderen Gegend eines Landes. Es sind packende literarische Städte- und Länderporträts mit ungewöhnlichen, breit gefächerten Einblicken. Weitere Teile sind geplant. »Das Konzept der Noir-Reihe überzeugt.« TIPP Berlin

Johnny Temple ist der Verleger und Cheflektor des preisgekrönten New Yorker Verlags Akashic Books, der die Noir-Serie ins Leben gerufen hat und urbane Literatur und politische Sachbücher publiziert. Er ist Träger des Ellery Queen Award (2013), des Jay and Deen Kogan Award für Excellence in Noir Literature (2010) und des American Association of Publishers Miriam Bass Award für Creativity in Independent Publishing (2005). Er spielt Bass in der Band Girls Against Boys. Er schreibt Artikel und politische Essays für diverse renommierte Publikationen.

Cash


Von Dennis Lehane

Boston, Massachusetts

 

Bob fand den Hund im Müll.

Es war kurz nach Thanksgiving, das Viertel war ruhiger als sonst, es schlief seinen kollektiven Rausch aus. Nach der Schicht hinter der Bar des Cousin Marv’s ging Bob oft noch ein bisschen spazieren. Er war groß und pummelig, und ihm wuchsen Haare an den seltsamsten Stellen des Körpers, schon seit seiner Jugend. In seinen Zwanzigern hatte er permanent gegen den Haarwuchs angekämpft, ständig Nagelscheren in seinen Manteltaschen herumgetragen und sich zweimal am Tag rasiert. Auch gegen sein Gewicht hatte er einen jahrzehntelangen zähen Stellungskrieg geführt. Doch in all diesen Jahren des Kampfes hatte nie auch nur ein Mädchen, das er nicht dafür bezahlte, Interesse an ihm gezeigt, und irgendwann hatte er den Kampf aufgegeben. Er lebte allein in dem Haus, in dem er geboren und aufgewachsen war, und immer wenn es kurz davor war, ihn mit seinen Gerüchen und Erinnerungen und dunklen Möbeln vollständig zu verschlingen, hatte jeder Versuch, sich aus seinem trägen Sog zu befreien– durch Arbeit in der Kirchengemeinde, Ausflüge in die Natur und eine auf fürchterliche Weise verunglückte Verabredung, die ihm eine Partneragentur eingebrockt hatte–, nur weiteres Salz in seine Wunden gestreut, die er sich danachüber lange, schmerzhafte Wochen hinweg lecken musste, während er sich dafür verdammte, die Hoffnung gehabt zu haben, seine Fluchtversuche könnten erfolgreich verlaufen.

Also machte er diese Spaziergänge, und wenn er Glück hatte, konnte er dabei manchmal vergessen, dass es noch eine andere Art zu leben gab.

In jener Nacht blieb er auf dem Gehsteig stehen; er fühlte den bleiernen Himmelüber sich, die Kälte in seinen Fingern und schloss die Augen gegen die Nacht.

Er kannte das. Er kannte dieses Gefühl. Es war in Ordnung.

Es kann dein Freund werden, wenn du es nicht bekämpfst.

Mit geschlossenen Augen hörte er es– ein mattes Jammern, begleitet von einem leisen Scharren und einem deutlicheren metallenen Scheppern. Eröffnete die Augen. Ein paar Meter die Straße hinauf wackelte eine große Blechtonne mit einem schweren Deckel kaum merklich unter dem gelben Licht der Straßenlaterne, ihr Boden klapperte leise auf dem Gehsteig. Er ging näher heran, beugte sich vor, und wieder hörte er dieses klägliche Jammern, das Geräusch eines Wesens, das einen Atemzug davon entfernt war, keine Kraft mehr für einen weiteren Atemzug zu haben, und er hob den Deckel hoch.

Er musste einiges Zeug aus dem Weg räumen, um an ihn ranzukommen– einen Toaster und fünf dicke Telefonbücher, dasälteste aus dem Jahr 2000. Der Hund– entweder ein sehr kleiner oder ein Welpe– kauerte ganz unten am Boden. Er hatte seinen Kopf fest gegen den Bauch gepresst und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, als das Licht ihn traf. Er ließ ein hauchdünnes Wimmern hören, und sein angststarrer Körper versteifte sich noch ein bisschen mehr, die Augen zu winzigen Schlitzen zusammengepresst. Ein ausgemergeltes Ding. Bob konnte seine Rippen sehen. Und an den Ohren eine große Kruste aus getrocknetem Blut. Kein Halsband. Er war braun mit einer weißen Schnauze und Pfoten, die viel zu groß für seinen Körper­waren.

Das Wimmern wurde lauter, als Bob sich vorbeugte, mit der Hand den Nacken griff und ihn aus einem Haufen von Exkrementen nach oben zog. Bob kannte sich mit Hunden nicht allzu gut aus, aber er glaubte, dass es sich um einen Boxer handelte. Es war ganz eindeutig ein Welpe, den er da ausgestreckt vor sich hielt und der nun seine großen braunen Augenöffnete und ihn ansah.

Irgendwo, da war er sich sicher, liebten sich gerade zwei Menschen. Ein Mann und eine Frau, ineinander verschlungen. Bob konnte sie fühlen, irgendwo hinter den Schatten, die das orangene Licht auf die Straße warf, nackt und glücklich. Und er stand hier draußen in der Kälte, Auge in Auge mit einem halb toten Hund. Der eisige Gehsteig glänzte wie­frischer Marmor, und der Wind war dunkel und grau wie matschiger Schnee.

»Was haben Sie denn da?«

Bob drehte sich um und schaute erst links und dann rechts die Straße hinunter.

»Ich bin hier oben. Und Sie wühlen in meinem Müll.«

Sie stand auf der Veranda des dreistöckigen Hauses vor ihm. Sie knipste das Verandalicht an, und er sah, dass sie barfüßig war und zitterte. Sie griff in die Tasche ihres Ka­puzenpullovers und zog eine Packung Zigaretten heraus. Sah ihn an, während sie sich eine anzündete.

»Ich habe einen Hund gefunden.« Bob hob ihn hoch.

»Einenwas?«

»Einen Hund. Einen Welpen. Einen Boxer, glaub ich.«

Sie hustete etwas Rauch aus.»Wer wirft einen Hund in den Müll?«

»Nicht wahr?«, sagte er.»Er blutet.« Er ging einen Schritt auf die Verandatreppe zu, und sie wich zurück.

»Wen kennen Sie, den ich kennen könnte?« Ein Stadtmädchen, das einem Fremden nicht so schnell traute.

»Ich weiß nicht«, sagte Bob.»Vielleicht Francie Hedges?«

Sie schüttelte den Kopf.»Kennen Sie die Sullivans?«

Das schränkte es nicht gerade ein. Nicht in dieser Gegend. Man schüttelte an einem Baum, und ein Sullivan fiel heraus. Meistens zusammen mit einem Sixpack.»Ich kenne einige.«

Das führte zu nichts; der Hund sah ihn an, er zitterte stärker als das Mädchen.

»Hey«, sagte er.»Sind Sie Mitglied der Kirchengemeinde?«

»Eine weiter. St. Theresas.«

»Gehen Sie zur Kirche?«

»Fast jeden Sonntag.«

»Dann kennen Sie Vater Pete?«

»Pete Regan«, sagt sie.»Sicher.«

Sie holte ein Handy hervor.»Wie heißen Sie?«

»Bob«, sagte er.»Bob Saginowski.«

Bob wartete, während sie aus dem Licht trat, das Telefon an das eine Ohr hielt und mit der freien Hand das andere bedeckte. Er starrte den Hund an, und der Hund starrte zurück, als würde er sich fragen:Wie bin ich hier nur reingeraten? Bob berührte die Nase des Hundes mit dem Zeigefinger. Der Welpe blinzelte mit seinen riesigen Augen. Für einen kurzen Moment hatte Bob alle seine Sünden vergessen.

»Nadia«, sagte das Mädchen und trat zurück ins Licht.»Bring ihn hier hoch, Bob. Pete lässt dich grüßen.«

 

Sie wuschen ihn in Nadias Spülbecken, rubbelten ihn trocken und setz