1. Kapitel.
Ich bin im Jahre 1 der gegenwärtigen oder christlichen Ähra
1 geboren und daher 37 Jahre alt. Meine Mama nannte mich Charles James Harrington Fitzroy Yellowplush – Gelbplüsch – zu Ehren verschiedener adeliger Familien und eines berühmten Kuttschers, den sie kannte, der eine gelbe Livreh trug und den Lord Mayor von London fuhr.
Warum sie mir den Namen dieses Gentleman gab, oder vielmehr den Namen eines Teiles seiner Kleidung, ist mir heute noch unerklärlich; die Benennung ist mir jedoch mein ganzes Leben hindurch geblieben, und ich bin sozusagen ein gebohrener Livrehdiener.
Vielleicht war er mein Vater – über diesen kann ich jedoch nicht mit Gewißheit sprechen, denn meine Mama umhüllte meine Geburt mit einem tiefen Geheimnis. Vielleicht bin ich ein uneheliches Kind, vielleicht wurde ich in der Kinderstube vertauscht, aber ich habe mein ganzes Leben hindurch den Geschmack eines Gentleman gehabt und zweifle nicht, daß ich von einem Gentleman abstamme.
Je weniger ich über meine Mutter sage, desto besser, denn das liebe alte Geschöppf war sehr gut zu mir und besaß davon abgesehen, wie ich fürchte, nur sehr wenig Gutes. Ich weiß nicht warum, aber ich galt stets für ihren Neffen. Wir führten ein sonderbares Leben. Zuweilen war meine Mutter in Seide und Purpur gekleidet, zuweilen in Lumpen und Schmutz; zuweilen erhielt ich Küsse, zuweilen Fußtritte, mitunter Gin und mitunter Schampanjer. Du lieber Gott, wie sie auf mich zu schimpfen pflegte und mich hättschelte! Da zankten wir uns und söhnten uns wieder aus, waren nüchtern und betrunken, bald verhungernd, bald schwelgend, gerade wie meine Mama Geld erhielt oder es wieder ausgab. Man erlaube mir aber, einen Schleier über die Szehne zu ziehen und nicht weiter von ihr zu sprechen – für das Publikum genügt es zu wissen, daß ihr Name Miss Montmorency war und daß sie im New Cut wohnte.
Eines Morgens starb meine arme Mutter, Gott habe sie selig, und ich blieb in der großen bösen Wellt allein und ohne einen Penny, um mir auch nur ein Frühstück zu kaufen. Unter unseren Nachbahrinnen gab es aber einige (und laßt euch sagen, daß unter diesen armen verrufenen Geschöppfen mehr Herzensgüte herrscht als unter einem halben Dutzend Lords oder Baronetts), die der Waise der armen Sally (denn sie brachen in Gelächter aus, wenn ich sie Miss Montmorency nannte) Mitleid bewiesen und mir Brot und ein Obdach gaben. Trotz ihrer Güte würde sich meineSittlichkeit schwerlich verbessert haben, wenn ich lange bei ihnen geblieben wäre, aber ein wohltähtiger Gentleman sah mich und schickte mich in die Schule. Die Unterrichtsanstalt, in die ich geschickt wurde, hieß die Freischule St. Bartholomews des Jüngeren – die jungen Herren trugen dort grüne Friesröcke, gelbe Lederbeinkleider, ein Messingschild auf dem linken Arm und eine Mütze von der Größe einer Teesemmel. Ich blieb dort sechs Jahre lang, das heißt, von meinem sechsten bis zu meinem zwölften Jahr, und zeichnete mich während dreier Jahre davon nicht wenig in musikahlischer Beziehung aus, denn ich trat den Blaseballg der Kirchenorgel, auf der ich und der Organist sehr schöne Melodien spielten.
Nun, es ist nicht der Mühe wert, meine Jugendtorheiten nachzuerzählen (welche Streiche wir der Apfelfrau zu spielen pflegten! Und wie wir dem alten Küster Schnupftaback in sein Gebetbuch streuten – das waren schöne Geschichten!), aber eines Tages trat ein Gentleman in das Schulzimmer – es war genau an dem Tag, an dem ich ans Subbtrahieren kam – und fragte den Lehrer nach einem Jungen, der sich als Diener eigne. Sie wählten mich gern genug aus, und am Tag darauf schlief ich in der Spühlküche, dicht unter dem Waschbecken, in Mr. Bagos Landhaus in Pentonville.
Bago hielt einen Laden auf dem Smithfield-Markt und machte vortreffliche Geschäfte in Öhl und italienischen Waren. Ich habe ihn sagen hören, daß er jährlich nicht weniger als fünfzehn Pfund damit verdiente, daß er sein Vorderzimmer vermietete, wenn jemand gehängt wurde.