: Monireh Baradaran
: Erwachen aus dem Albtraum Autobiografischer Bericht
: Unionsverlag
: 9783293305595
: 1
: CHF 10.10
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 340
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Neun Jahre lang war Monireh Baradaran in den berüchtigten Gefängnissen von Teheran inhaftiert. Ihr Bericht geht an die Grenze dessen, was Menschen ertragen können. Sie zeichnet genaue, einfühlsame Porträts von den Frauen, ihren Mitgefangenen, und geht dem Rätsel nach, wie Menschen sich verändern, Freunde zu Feinden, »Helden« zu »Verrätern« werden. Noch in den grausamsten Augenblicken der Haft bleibt die Schilderung präzise, voller menschlicher Neugier und Verständnis, rückhaltlos auch gegenüber den eigenen Zweifeln und Schwächen. Nach der Freilassung begann der schmerzhafte Prozess der Aufarbeitung dieser Erfahrungen. Vier Jahre dauerte es, bis das Unvorstellbare in Worte gefasst war.

Monireh Baradaran, geboren 1955 in Tabriz (Nordiran), wuchs in Teheran innerhalb einer politisch engagierten Familie auf. Den Kampf gegen die Diktatur und für die Demokratie haben Monireh Baradaran und ihre Angehörigen teuer bezahlt mit Gefängnisstrafen, Verschleppungen und Hinrichtungen. Seit 1991 lebt Monireh Baradaran im Exil in Deutschland, wo sie schließlich begann, ihre schmerzhaften Erlebnisse niederzuschreiben.

Die Verhaftung


Oktober 1981, kurz vor Mitternacht. Ich war gerade ins Bett gegangen, als es an der Tür klingelte. Durch die Sprechanlage drang eine fremde, männliche Stimme zu uns: »Ich bin ein Freund eures Bruders!« Meine Schwester antwortete: »Mein Bruder ist nicht da.« Daraufhin befahl der Fremde barsch: »Mach sofort die Tür auf!«

Wir hatten keinen Zweifel, das waren die Menschenjäger. In jener Zeit waren sie überall anzutreffen. Auf den Straßen hielten sie ahnungslose Passanten auf, durchsuchten sie und wühlten in all ihren Taschen nach verdächtigen Sachen. Beim geringsten Verdachtsmoment nahmen sie sie sofort fest und führten sie ab. Nachts stürmten sie Häuser und Wohnungen. Schüler, Studenten und gebildete Menschen bildeten ihre bevorzugte Beute.

Meine Schwester öffnete, und im Nu waren die Männer in unserer Wohnung. Sie waren alle bewaffnet. Auf die Frage meiner Schwester, wer sie seien und mit welchem Recht sie bei uns eindrangen, zeigte einer von ihnen einen Ausweis.

Ich war noch im Nachthemd, als ein Mann mit einem Funkgerät in der Hand die Tür meines Zimmers aufriss, mich mit meinem Namen ansprach und mir befahl: »Zieh dich an! Du bist verhaftet!«

»Warum?«, wollte ich wissen.

»Du wirst schon sehen«, antwortete der Bärtige. Er verließ mein Zimmer, und ich begann, mich anzukleiden. Unterdessen durchsuchten sie unsere gesamte Wohnung, konnten aber nichts finden. Sie nahmen einige Bücher aus dem Regal und forderten meine Schwester auf, ihnen Tragetaschen zu bringen. Um Fassung ringend, erwiderte sie scheinbar ruhig: »Sie benehmen sich, als seien Sie hier zu Hause. Nehmen Sie sich also, was Sie brauchen.« Einer fand einen Abfallbeutel und warf die beschlagnahmten Bücher hinein. Danach verlangten sie die Autoschlüssel, um auch den Wagen zu durchsuchen.

Während der ganzen Zeit beobachtete uns ein Jüngling, nicht älter als sechzehn, siebzehn Jahre, der eine geladene Pistole fest in der Hand hielt. Ein anderer posierte mit seiner Waffe wie im Western. Ein Mann nahm eine Kassette des populären kurdischen Sängers Showan in die Hand. Er las den Namen falsch und wollte wissen, was darauf war. Meine Schwester forderte ihn heraus: »Legen Sie die Kassette doch auf, dann wissen Sie es.« Aber er warf die Kassette und noch ein paar weitere zu den Büchern in den Beutel. Nach knapp einer Stunde waren sie fertig, und ich war ihre Gefangene.

Zum Abschied schloss ich meine Schwester tief in die Arme und flüsterte ihr zu, sie solle auf alles gefasst sein. Sie beschwor mich, auf jeden Fall und unter allen Umständen meine Würde zu wahren. Diesen Satz wiederholte ich in den folgenden Jahren immer wieder u