Prolog (2 Jahre und 10 Monate früher)
Amalia Steen kaute ängstlich auf ihrer Unterlippe. Ihr Vater würde Robert umbringen, wenn sie ihm erzählte, was passiert war. Aber ihn anzulügen würde nicht funktionieren. Sollte sie ihm vorspielen, ins Training zu gehen und sich stattdessen irgendwo die Zeit vertreiben?
Es war bereits nach zweiundzwanzig Uhr an diesem zwanzigsten Oktober. Die S4 auf ihrem Weg von Kronberg nach Langen war so gut wie ausgestorben. Entsetzt stellte die Achtzehnjährige fest, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Mit einer Mischung aus Furcht und Erleichterung wischte Amalia sich hastig mit dem Ärmel ihrer Windjacke darüber. Sie roch ihren eigenen Schweiß. Auch die Basketballschuhe in ihrer Sporttasche vor ihr auf dem Boden müffelten. Doch bevor dieser Geruch üble Erinnerungen wecken konnte, hielt die Bahn mit einem quietschenden Ruckeln am Bahnhof der Flugsicherung in Langen. Der Pfeifton für die Türen erklang. Ein kalter herbstlicher Windstoß fegte herein und kroch ihr unter die Jogginghose.
Amalia blickte aus dem Fenster, an dessen Glas die stetig fallenden Regentropfen in Schlieren hinabliefen. Der nur von einer einzigen Laterne beleuchtete Bahnsteig lag so verlassen da, wie sie sich fühlte. Robert hatte ihr das eingebrockt. Dabei hatte sie geglaubt, er würde sie verstehen und ihr helfen, ihrem Vater klarzumachen, dass sie nicht mehr spielen wollte.
Es war ihr egal, dass sie beim MTV Urberach alsdas Supertalent gegolten hatte. Inzwischen verfluchte sie Charlotte dafür, dass sie sie vor drei Jahren nach Kronberg geschickt hatte. Amalia wusste noch, was Charlotte ihrem Vater erzählt hatte: Beim BBC Kronberg würde sie Individualtraining bekommen, bessere Mitspielerinnen haben, in Hessens höchster Liga in ihrer Altersklasse spielen und sie hätte die Chance, in wenigen Jahren zum Bundesligakader der Damenmannsc