: Franc Prosenjak
: Geschichten für Marlene Erinnerungen eines Pfarrers
: mainbook Verlag
: 9783947612277
: 1
: CHF 5.30
:
: Erzählende Literatur
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mein Leben hätte so einfach verlaufen können, wäre ich nicht Pfarrer, sondern zum Beispiel Tellerwäscher geworden! Ich hätte acht Stunden täglich Teller gewaschen, getrocknet und in Schränke eingeräumt. Nach getaner Arbeit wäre ich auf mein Zimmer gegangen, hätte eine Zigarette geraucht, mich mit Wein oder Bier abgefüllt, wäre etwas später ins Bett gefallen und friedlich eingeschlummert. Ich hätte mir keine Gedanken gemacht über Gott und die Welt und hätte ziemlich sicher keine Albträume. Franc Prosenjak erzählt auf seine unnachahmliche Art von seiner Zeit als Pfarrer in der Wetterau. Geschichten, die sein Beruf mitbrachte und die doch viel mehr bedeuten: Sie zeigen das Leben selbst in all seinen Facetten. Zudem schildert der Autor ein Familienereignis, das sein Leben erschütterte und in eine neue Bahn lenkte ... daraus entstanden die 'Geschichten für Marlene'.

Franc Prosenjak: Zwei saftige Ohrfeigen meines Lehrers und die Androhung weiterer Prügel änderten in der vierten Klasse meine Einstellung zum Lernen. Unter dem Einfluss des gewalttätigen Pädagogen entdeckte ich, dass mein Hirn nicht nur dazu da war, das große Loch in meinem Kopf zu füllen. Die erste brauchbare Erkenntnis meines Lebens. In der Folgezeit mauserte ich mich vom Faulenzer zum abscheulichen Streber. Um meiner angeborenen Armut zu entkommen, floh ich nach dem Schulabschluss von zu Hause. Eine zufällige Begegnung mit einem Priester brachte mich ins Grübeln. Ich begann das Studium der Theologie und wurde Priester, obwohl Gottvertrauen nicht gerade meine Stärke war. Genauso wie die Auslegung des Zölibats. Auf einer Skipiste in Tirol wurde die Slalomfahrt meines Lebens von einer Skilehrerin durchkreuzt. Wir heirateten und bekamen Kinder. Von der katholischen Kirche gefeuert, trat ich in den Dienst der evangelischen Kirche ein.

Zweites Kapitel
Mein Einstieg in das neue Pfarramt


Die Kirche meines slowenischen Heimatdorfes hat noch heute bunte Glasfenster und ist von einem Friedhof umgeben. Wenn ich dort als Kind der heiligen Messe beiwohnte, achtete ich nicht auf die Worte des Pfarrers, sondern dachte an die Toten unserer Großfamilie, die rund um das Gotteshaus begraben waren. Einige hatte ich gekannt, die meisten aber nicht. Denen, die ich nicht mochte, gönnte ich, dass sie tot waren. Zum Beispiel meinem Opa, der meine Schwestern bevorzugte, mich aber oft mit seinem Ledergürtel züchtigte. Es gab auch welche, die ich vermisste. Zum Beispiel meine Schwester Stefica, die ich gar nicht gekannt hatte, weil sie vor meiner Geburt starb. Sie ist von meiner Mutter so liebevoll geschildert worden, dass ich mich hinterher in der Einsamkeit des Schweinestalls ausheulen musste, aus lauter Trauer und Gramm, weil sie nicht mehr lebte.

Unsere Heimatkirche wurde niemals geheizt, trotzdem wurde es mir auch im Winter warm ums Herz, wenn ich darin als Kind verweilte. Da mich der Pfarrer meines atheistischen Vaters wegen nicht als Ministranten in Dienst nehmen wollte, kniete ich immer irgendwo zwischen den hinteren Bänken. Von dort aus hatte ich eine gute Aussicht auf den Altar, wo die heilige Maria mit ihren verträumten Augen und mit leicht nach vorne ausgestreckten Armen bei mir den Eindruck erweckte, dass sie mich mag.

Von Maria schweifte mein Blick zu Jesus, der auf mich fremd und abweisend wirkte. Er hing am Kreuz, seine Augen waren halb geschlossen, sein ganzer Körper war von Schürfwunden übersät, sein Kopf blutete unter der Dornenkrone.

Im Gegensatz zu seiner Mutter, die auf mich entspannt und einladend wirkte, sah ihr Sohn extrem hilflos und wie verloren aus. Seine halb geschlossene Augen waren auf den Boden gerichtet, als ob er vermeiden wollte, mit mir Blickkontakt aufzunehmen. Ich konnte ihn nicht lange anschauen, denn er tat mir furchtbar leid. Auch wenn der Pfarrer das Gegenteil behauptete, konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser festgenagelte und resignierte Mann irgendjemand helfen konnte, mir am allerwenigsten, weil ich ja weder fromm noch anständig war, wie mir meine Großeltern immer wieder unter die Nase gerieben hatten.

Nun „besaß“ ich als Pfarrer in der Wetterau eine Kirche, die meiner Heimatkirche sehr ähnelte. Bunte Glasfenster im Altarraum, auf Empore farbenfrohe Bilder mit Motiven aus der Heiligen Schrift, kunstvoll geschnitzte Kanzel, altmodische Kirchenbänke. Diese Ähnlichkeit war mir wichtig. Denn meine Besucher aus Slowenien sollten sehen, dass ich trotz meinem Übertritt zum evangelischen Glauben über eine echte Kirche verfügte, also immer noch ein echter Pfarrer war.

Einmal besuchte mich meine Schwester mit Familie. Als ich ihr unsere Kirche zeigte, merkte ich, dass ihr Blick suchend herum schweifte.