: Jan Abele
: 'Ich glaub, ich bin jetzt warm genug angezogen' Warum wir (meistens) am besten wissen, was gut für unsere Kinder ist
: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783959102179
: 1
: CHF 10.50
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: Familie
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Mütze trägt das Kind schon ... lieber auch noch einen Schal dazu? Oder übertreibe ich dann schon? Und wie wahrscheinlich ist der Sturz vom Klettergerüst eigentlich? Helikoptere ich schon, wenn ich zufällig unter dem Gerüst stehe, um die Turnaktionen des Zöglings abzusichern? Jan Abele legt mit seinem Debüt ein wichtiges Buch zum Thema Helikopter-Eltern vor. Seine These: Vielen Eltern wird Angst gemacht, dass sie zu fürsorglich sein und mit ihrer Erziehung übers Ziel hinausschießen könnten. Dabei ist es gar nicht so schwer, liebevoll zu erziehen, es dabei aber nicht zu übertreiben - und die wenigsten tun das auch tatsächlich. Wir verhätscheln unsere Kinder nicht, wir verbringen nur viel mehr Zeit mit ihnen als frühere Elterngenerationen. Wir überbeschützen und überwachen unsere Kinder nicht, wir sorgen nur dafür, dass sie keine Löcher in den Zähnen haben und sich gesund ernähren, weil wir heute viel besser informiert sind. Jan Abele liefert ein von Herzen kommendes Plädoyer für eine achtsame, liebevolle Erziehung und zeigt nebenbei ganz einfach, wie das geht und wie wir wieder unserem eigenen Gefühl vertrauen können, denn: Wir wissen am besten, was gut für unsere Kinder ist.

Jan Abele war stellvertretender Chefredakteur der NEON und des Elternmagazins Nido. Heute arbeitet er als freier Journalist in Hamburg und schreibt besonders gern zu Themen rund um die Familie und nachhaltiges Leben. Seine Frau und er sind überaus achtsame Eltern eines Sohnes.

1. Ist das noch Liebe, oder helikoptere ich schon?


Oder: Warum dieses Buch geschrieben werden musste


Ich stehe in der Nähe eines typischen Klettergerüstes aus der Spielplatz-Bootcamp-Ära der Siebzigerjahre (scharfes Metallgestrüpp, darunter scharfkantiger, steinharter Waschbeton) und beobachte angestrengt, wie mein Sohn immer wieder das Gleichgewicht zu verlieren droht. Ich spüre, wie mein Körper zuckt, weil er hineilen möchte, um da zu sein, wenn mein Sohn fällt. Damit ich ihn auffangen kann und er sich nichts Schlimmeres zuzieht als einen ordentlichen Schreck. Der Fuß meines Sohnes rutscht ab, mein Herz bleibt einen Augenblick lang stehen, mein Sohn fängt sich. Wieder zuckt mein Körper, doch erneut unterdrücke ich den Impuls und bleibe betont gelassen gut fünf Meter entfernt stehen. In diesem Moment verschätzt sich mein Sohn, greift daneben und stürzt ab. Sein Kopf prallt auf den Boden, er schreit. Während ich zu ihm hinhechte, ihn in den Arm nehme und tröste, weil ihm ein übles Horn auf der Stirn wächst, schäme ich mich und fühle mich wie der schlechteste Papa der Welt.

Was ist passiert?

Gehen wir einen Schritt zurück.

Seit einiger Zeit kann man in Deutschland ein Phänomen beobachten, für das es keinen adäquaten Begriff gibt (dazu ist es zu neu) und das ich mal etwas polemisch als »Eltern-Bashing« bezeichnen möchte. Nicht nur aufSpiegel Online oder den Wissensseiten derSüddeutschen Zeitung, sondern auch in den vielen gleichlautenden Erziehungsratgebern, die die Regale deutscher Buchhandlungen füllen und die Bestsellerlisten anführen, liest man seitenlang über die Fehler, die heutige Eltern in der Erziehung angeblich machen. Regelmäßig ist von einer Überfütterung an elterlicher Fürsorge die Rede, die als die größte Gefahr für den Fortbestand der deutschen Gesellschaft ausgemacht wird, von einem als Liebe getarnten Würgegriff. Laut der gängigen Meinung setzen heutige Eltern keine Grenzen mehr, nehmen ihren Kindern dadurch die Orientierungsmöglichkeiten und schaffen es gleichzeitig, den Nachwuchs durch ihre angstgeleitete Überfürsorge so einzuengen, dass er am Ende zum kleinen Egomonster wird, komplett verzogen und lebensunfähig. Der gleichlautende Vorwurf: Die Eltern des 21. Jahrhunderts rauben ihren Kindern die Chance, eigene Erfahrungen zu sammeln und halten sie davon ab, sich artgerecht zu entwickeln.

Irgendwann tauchte der Begriff der »Helikopter-Eltern« auf, der Mütter und Väter bezeichnet, die in einer Mischung aus übertriebener Zuwendung und Angst um ihre Kinder in besonders absurden Bahnen um sie herumschwirren. Es gibt mittlerweile gefühlt zigtausend Bücher, in denen solche Fälle von beinahe hysterischen Eltern geschildert werden, die ihren Kindern Peilsender in die Unterhosen nähen, nicht mehr schlafen können, wenn in der Grundschule die Eins in Chinesisch wackelt, oder die ohnmächtig zusammenbrechen, weil Melitta oder Kaspar oder Cassian (klar, so heißen Helikopter-Kinder) versehentlich in die Nähe einer Tasse Milch geraten sind, die nicht nachweislich nachts bei Mondschein auf einem Demeterhof aus dem Euter kam. Diese Eltern nerven ihr Umfeld mit übergriffigen Forderungen (der Lehrer soll bitte dafür sorgen, dass das Kind je nach Außentemperatur den entsprechenden Pullover trägt; auf dem Kindergeburtstag der Freundin darf bitte nix Süßes verteilt werden) und schaden ihren Kindern nachhaltig.

Ich kenne wirklich viele Eltern, und alle sind auf ihre Art verschieden; es gibt lässige, es gibt ängstliche, es gibt laute, es gibt arrogante, es gibt viel zu nette (denn natürlich: Wenn ein Kind einem anderen Kind die Metallschaufel über den Kopf zieht, sollte der Erziehungsberechtigte eingreifen und die aus welcher Motivation heraus auch immer ausgeführte Attacke nicht mit »Ach, das hat er/sie doch nicht böse gemeint« abtun, obwohl Blut aus der Platzwunde schießt. Wobei ich bezweifle, dass so was tatsächlich so