: Mo Yan
: Das rote Kornfeld Roman
: Unionsverlag
: 9783293305526
: 1
: CHF 10.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 496
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die endlosen Felder sind der Glanz und der Reichtum des chinesischen Dorfes Gaomi. In mächtigen roten Wellen erstrecken sie sich bis zum Horizont. Rot sind auch die Vorhänge der Sänfte, in der die schöne Dai Fenglian zu ihrem zukünftigen Ehemann Shan getragen wird. Aber als der Sänftenträger Yu Zhan'ao und Dai Fenglian sich sehen, entbrennen sie in Liebe zueinander. Als opulente Familiensaga zeichnet der Roman das Schicksal eines Dorfes vor dem Hintergrund des chinesisch-japanischen Krieges nach. Mo Yan beschreibt atmosphärisch dicht eine Familie am Übergang vom traditionellen zum modernen China. Die Verfilmung des Romans wurde 1988 mit dem Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet und für den Oscar nominiert.

Mo Yan (was so viel heißt wie »keine Sprache«) ist das Pseudonym von Guan Moye. Er wurde 1956 in Gaomi in der Provinz Shandong geboren und entstammt einer bäuerlichen Familie. Spätestens seit Zhang Yimous preisgekrönter Verfilmung seines Romans Das rote Kornfeld gilt Mo Yan auch international als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Autoren der chinesischen Gegenwartsliteratur. 2012 wurde Mo Yan mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

ERSTES KAPITEL


Rote Hirse

1


Am neunten Tag des achten Monats des Jahres 1939 nach dem alten Kalender schloss sich mein Vater, Spross einer Familie von Rebellen und gerade fünfzehn geworden, dem Trupp des Kommandanten Yu Zhan’ao an, eines Mannes, der später zu einem sagenumwobenen Helden werden sollte. Sie hatten vor, auf der Landstraße von Jiao nach Pingdu eine japanische Lastwagenkolonne zu überfallen. Großmutter, die eine warme Jacke übergeworfen hatte, begleitete sie bis zum Rand des Dorfes. »Bleib stehen«, befahl Kommandant Yu. Großmutter blieb stehen.

Douguan, höre auf deinen Pflegevater«, ermahnte Großmutter meinen Vater, der schwieg. Der Anblick von Großmutters hochaufgeschossener Gestalt und der Duft ihrer gefütterten Jacke ließen ihn erschauern. Er zitterte, und sein Magen knurrte.

Kommandant Yu strich ihm übers Haar und sagte: »Gehen wir, Pflegekind.«

Himmel und Erde waren in Aufruhr, die Landschaft verschwamm vor dem Auge, das gedämpfte Getrampel des Trupps klang aus weiter Ferne herüber. Vater konnte sie noch hören, aber die Männer selbst waren hinter einem weißblauen Nebelvorhang verschwunden. Vater hielt sich am Zipfel von Kommandant Yus Mantel fest und rannte stampfenden Schrittes voran. Das stürmische Nebelmeer kam immer näher, und Großmutter verschwand am fernen Ufer. Er hielt sich an Kommandant Yus Mantel fest wie an der Reling eines Bootes.

So eilte mein Vater dem unbehauenen Granitfelsen entgegen, der ihm inmitten der roten Hirsefelder seiner Heimat zum Grabstein werden sollte. Jahre später führte ein kleiner Junge mit nacktem Hintern einen weißen Ziegenbock an das unkrautüberwucherte Grab, und während der Bock ruhig und zufrieden graste, pisste der kleine Junge voll Inbrunst auf das Grab und sang aus voller Kehle: »Die Hirse ist rot, der Japaner kommt, Landsleute, seid bereit, feuert aus allen Rohren!«

Irgendjemand hat behauptet, der kleine Ziegenhirt sei ich gewesen, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Damals liebte ich die Gemeinde Nordost-Gaomi von ganzem Herzen und hasste sie gleichzeitig mit zügelloser Wut. Erst als Erwachsener habe ich erkannt, dass Nordost-Gaomi der zweifellos schönste und abstoßendste, einzigartigste und gewöhnlichste, heiligste und korrupteste, heroischste und feigste, trinkfreudigste und liebestollste Ort auf der Welt ist. Damals, zur Zeit meines