: Christof Landmesser, Doris Hiller
: Wahrheit - Glaube - Geltung Theologische und philosophische Konkretionen
: Evangelische Verlagsanstalt
: 9783374059959
: 1
: CHF 27.60
:
: Christentum
: German
: 176
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In einer Zeit, in der sich unterschiedliche und zuweilen widersprechende Wahrheiten nahezu täglich neu Geltung verschaffen, müssen die Wahrheits- und Geltungsansprüche des christlichen Glaubens überprüft und in einer steten Interpretation der biblischen Texte vergegenwärtigt werden. Sich in den vielfältigen Deutungen der Großbegriffe zu orientieren und theologische und philosophische Konkretionen zu formulieren, hat sich die 20. Jahrestagung der Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für Hermeneutische Theologie zur Aufgabe gemacht. Der Sammelband dokumentiert deren Erträge. 20 Jahre waren auch Anlass für eine Rückschau. Neben zwei Beiträgen der beiden Vorsitzenden findet sich deshalb auch eine Übersicht zu den Vorstandsmitgliedern sowie zu den Themen und Vorträgen der Jahrestagungen. Mit Beiträgen von Volker Gerhardt, Corinna Körting, Michael Labahn, Malte Dominik Krüger, Isolde Karle, Ulrich H. J. Körtner und Christof Landmesser. [Truth - Faith - Validity. Theological and Philosophical Concretions] In a time where different and sometimes contradicting truths assert themselves almost on a daily basis the claim of truth and validity of the Christian faith must be reappraised and envisioned through a constant exegesis of biblical texts. The focus of the 20th Annual Meeting of the Rudolf Bultmann Society for Hermeneutical Theology was on finding an orientation in the various interpretations of main concepts and on formulating theological and philosophical concretions. This volume documents the outcome. The 20th anniversary has also been a reason for retrospect. Therefore, overviews of board members as well as topics and lectures from the Annual Meetings are accompanying two articles by the presidents of the board.

GEFÄLLIGE WORTE – WAHRE WORTE


Das alttestamentliche Plädoyer für die Wahrheit

Corinna Körting

1. EINSTIEGE IN DAS THEMA


Die Überschrift des Beitrags ist angelehnt an Koh 12,10. Ein Bewunderer Kohelets schreibt eine Art Resümee über dessen Worte. Dieses Resümee ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es ist die einzige Passage, an der im Buch Kohelet überhaupt von Wahrheit () gesprochen wird. Kohelet selbst argumentiert, sicherlich bedacht, nicht mit . Nun lautet der gesamte Vers:

Koh 12,10 »Kohelet suchte gefällige Worte zu finden
und schrieb1 richtig nieder wahre Worte.«

Die Überschrift dieses Beitrags lässt noch offen, was in einer Übersetzung entschieden werden muss. Was lässt sich über das Verhältnis von gefälligen Worten und wahren Worten aussagen? Stellen sie einen Gegensatz dar? Können wahre Worte überhaupt gefällige Worte sein? Worin genau besteht die Qualität der Worte Kohelets, dass sein Bewunderer sie als »wahr« bezeichnen kann? Nun ist aber nicht nur v10, sondern der Abschnitt Koh 12,9-11 insgesamt in den Blick zu nehmen.

Koh 12,9 »Und außerdem war Kohelet ein Weiser ()
mehr noch lehrte er das Volk Erkenntnis ();
er hörte und erforschte und berichtigte viele Sprichwörter ().
V10 Kohelet suchte gefällige Worte zu finden
und schrieb richtig nieder wahre Worte.
V11 Worte von Weisen sind wie Ochsenstacheln,
und wie eingeschlagene Nägel sind gesammelte Sprüche,
sie wurden von einem Hirten gegeben.«

Wahre Worte sind, so Koh 12,9-10, das Resultat eines Auswahlprozesses.2 Hören, prüfen und berichtigen sind unabdingbare Arbeitsschritte auf dem Weg zu wahren Worten. Der Auswahlprozess ist durch ein einziges Ziel gesteuert, nämlich der Lehre von Erkenntnis. Doch nicht nur wahre, sondern auch »gefällige Worte« sind Resultat des Prozesses. Sie stehen nicht im Gegensatz zu den »wahren Worten« oder bilden nur den Pool, aus dem die wahren Worte gewählt werden. »Gefällig« wird in der Regel mit »formschön, eingängig, ansprechend« als typisches Merkmal weisheitlicher Sprüche gedeutet.3 Kohelets Sprüche tragen diesmal folglich ebenso wie das Siegel »wahr«.4 Dem stellt v11 die Worte der Weisen gegenüber. Diese werden, anders als die Worte Kohelets, mit Ochsenstachel und Nagel verglichen. Ein Ochsenstachel treibt an, ein Nagel festigt. Das vermögen sie, mehr aber auch nicht. Sie sind eben »nur« Worte eines Hirten, Resultat harter, grober Arbeit.5 Sie sind nicht falsch, jedoch auch nicht wahre Worte.6

Wahre Worte hingegen sind schön, gut klingend. Auch wenn die ersten Fragen damit beantwortet zu sein scheinen, d.h. der aufgemachte Gegensatz ist gar keiner. Auch wenn »wahre Worte« sich dadurch auszeichnen, dass sie zur Erkenntnis führen, ist noch nicht viel gewonnen, um sich dem Wahrheitsbegriff des Alten Testaments zu nähern. Machen wir uns also auf dieSuche nach Wahrheit.

) und »Wahrheit« () zusammen gebraucht werden. Was mit »Suche« umschrieben wird, bezeichnet eher einen Auswahlprozess als die Suche nachder Wahrheit, die verborgen sein könnte.

gehört auch in das hier zu verhandelnde semantische Feld, häufiger übersetzt mit »Wahrhaftigkeit«.7 Unter diesen Prämissen kommt immerhin eine einzige weitere Passage in den Blick. In Jer 5,1 heißt es:

»Zieht durch die Gassen Jerusalems
und seht doch nach und erkennt und sucht auf ihren Plätzen,
ob ihr nicht einen Mann findet,
der Recht tut () und Wahrhaftigkeit () sucht ()
und ich will ihr vergeben« (Jer 5,1)