Prolog, in dem eine Wanderin erst den Halt und dann die Fassung verliert
»Musst du denn alle paar Schritte ein Foto machen?«, fragte Jenna gereizt. »Du hältst uns alle nur auf.«
»Ach, komm schon«, gab Gertie unbeeindruckt zurück und grinste breit, während sie auf dem Display ihres Smartphones überprüfte, ob der Bildausschnitt hinter ihr auch gut gewählt war. »Es ist ja nun wirklich nicht so, als könntet ihr mir davonlaufen. Ich bin mindestens zwanzig Jahre jünger als jede von euch, und ich hole euch nach ein paar Minuten doch sowieso wieder ein, ohne nach Luft schnappen zu müssen.«
»Der Sinn einer Wandergruppe ist der, dass man als Gruppe wandert«, rief Maxine ihr zu. »Es geht um den …«
»… den Zusammenhalt, ja, ja, ich weiß«, erwiderte Gertie. »Aber ich bin nun mal dieses Tempo aus dem Café gewöhnt und kann nicht langsamer gehen. Dann schlafe ich nämlich ein. Ist doch nicht schlimm, wenn ich euch vorgehen lasse und dann wieder einhole. Ich glaube, es würde euch noch viel weniger gefallen, wenn ich ständig vor euch herlaufen und euch zurufen würde, dass ihr euch ein bisschen beeilen sollt.« Sie zwinkerte Maxine zu. »Ist doch wahr, oder?«
Maxine verdrehte die Augen. »Weißt du, Gertie, wir machen das hier, weil wir gemeinsam Spaß haben und was für unsere Gesundheit tun wollen. Keiner von uns hat Lust, sich mit dem kleineren von zwei Übeln abfinden zu müssen, wenn eigentlich keines von beiden Übeln existieren müsste.«
Gertie zog die Augenbrauen zusammen, aber es wirkte nur im ersten Moment so, als wäre sie darüber beleidigt, dass ihr Benehmen als »Übel« bezeichnet wurde. Dann wurde klar, dass sie Maxine überhaupt nicht hatte folgen können, sich aber wohl auch nicht die Blöße geben wollte, bei ihr nachzufragen, was sie mit ihrer Bemerkung gemeint hatte. Stattdessen zuckte sie nur gelassen mit den Schultern und murmelte etwas Unverständliches.
»Gehen wir jetzt weiter oder was?«, fragte Gertie anschließend etwas lauter in die Runde und schüttelte die langen blonden Haare. Dann ging sie an Maxine und Jenna vorbei, um sich den vier anderen Frauen anzuschließen, die weitergewandert waren, als die Diskussion mit Gertie begonnen hatte.
Jenna schüttelte ungläubig den Kopf und setzte sich wieder in Bewegung.
»Wir hätten ihr schon vor Wochen sagen sollen, dass sie nicht mitkommen kann«, meinte Maxine leise, die neben ihr ging.
Jenna nickte betrübt. »Ja, es war tatsächlich ein Fehler, Gertie zu dieser Wanderung einzuladen.«
»Eingeladen hat sie sich selbst, als wir im Café saßen und über das hier gesprochen haben«, wandte die andere Frau ein. »Wir hätten sie gleich wieder ausladen sollen.«
»Ich weiß, aber das wäre irgendwie so … so unhöflich gewesen.«
Maxine seufzte. »Manchmal muss man offenbar zu anderen Leuten unhöflich sein, um zu verhindern, dass sie anschließend zu einem selbst unhöflich sind.«
»Schade, dass sie nicht in High Heels zur Abfahrt erschienen ist, wie wir alle es erwartet hatten«, sagte Jenna, während sie weiter zu den anderen aufschlossen. »Dann hätte sich das Problem von selbst erledigt.«
»Na ja, das Schlimmste steht uns ja sicher noch bevor, wenn Gertie merkt, dass ihr ständiges Hin und Her und die dauernden Tempowechsel an ihren Kräften zehren«, warnte Maxine, als Gertie sich wieder einmal von der Gruppe löste und eine Lichtung rechts des Wanderwegs überquerte, wohl um das nächste Selfie zu schießen. »Wir haben ihr gesagt, dass sie ein gleichmäßiges Tempo beibehalten soll, wenn sie nicht …«
Während Maxine redete, sah Jenna nach rechts zum Rand der Lichtung, wo die junge Kellnerin mit ausgestreckten Armen ihr Smartphone auf sich gerichtet hielt und einen Schritt nach hinten machte … danach noch einen … und dann wurde sie auf einmal scheinbar vom Erdboden verschluckt. Mit einem erstickten Aufschrei verschwand sie zwischen den Büschen und war weg.
»Oh mein Gott, Gertie!«, rief Jenna erschrocken. »Sie ist da … da …«
»Was denn?« Maxine schaute in die