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»Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen. Und Defizite bei der missionarischen Tätigkeit der christlichen Kirche, Mängel bei ihrem »evangelizzesthai« würden sofort zu schweren Herzrhythmusstörungen führen. Der Kreislauf des kirchlichen Lebens würde hypotonisch werden. Wer an einem gesunden Kreislauf des kirchlichen Lebens interessiert ist, muss deshalb auch an Mission und Evangelisation interessiert sein. Weithin ist die ausgesprochen missionarische Arbeit zur Spezialität eines ganz bestimmten Frömmigkeitsstils geworden. Nichts gegen die auf diesem Felde bisher besonders engagierten Gruppen, nichts gegen wirklich charismatische Prediger! Doch wenn Mission und Evangelisation nicht Sache der ganzen Kirche ist oder wieder wird, dann ist etwas mit dem Herzschlag der Kirche nicht in Ordnung.«2
Was Eberhard Jüngel vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 1999 in Leipzig vortrug, ist bis heute nicht vergessen. Fast zwanzig Jahre sind seit Jüngels Vortrag vergangen. Zeit, einmal zu fragen, wie es denn heute im Blick auf die Zukunft (!) um »Mission und Evangelisation«, um den Herzschlag »der Kirche« in unserem Land steht, die hier zuerst einmal als »Kirche Jesu Christi« und nicht »konfessionell« verstanden werden muss.
Ulrich Eggers und mich verbindet die feste Überzeugung, dass sich diese Fragestellung aufdrängt, weil sich theologische und praktische Übereinstimmungen in Sachen Mission sowohl zwischen den immer noch großen Volkskirchen und vielen Freikirchen als auch zwischen unterschiedlichen Frömmigkeitsprägungen, ob liberal oder konservativ, pietistisch oder evangelikal, abzeichnen, die vor einigen Jahren noch kaum vorstellbar waren. Für diese Entwicklung gibt es natürlich nicht nur eine Ursache, sondern mehrere. Vier, die sich mir in besonderer Weise nahelegen, will ich kurz benennen:
• Die Kirche Jesu Christi ist überzeugt davon, dass das Wesentliche in ihr zuerst und vor allem immer Geschenk ist, Antwort auf Gebete und Gabe des Heiligen Geistes.
• Der fortschreitende Prozess der Säkularisierung und Individualisierung, ganz unabhängig davon, wie man diese Phänomene im Einzelnen deuten mag, führt in den Volkskirchen zu schmerzlichen Einbrüchen in der Mitgliedschaft. Damit verbunden ist ein kaum mehr aufzuhaltender Traditionsabbruch in der Weitergabe von Glaubensformen und Glaubensinhalten zwischen den Generationen. Auch die klassischen Freikirchen bleiben von dieser Entwicklung nicht verschont und stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Die katholische Kirche reagiert auf diese Entwicklung etwa seit 1985 mit einem Ansatz zur »Neu-Evangelisation«, insbesondere in Europa.
• Das 500. Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 war geprägt von dem Gedanken, Menschen wirklich mit den Kernüberzeugungen der Reformation zu erreichen, und stärkte die gar nicht so neue Erkenntnis, dass Kirche vor allem dann wahrgenommen wird, wenn sie sich außerhalb ihrer eigenen Mauern auf die Lebenswelt der Menschen einlässt und die Begegnung, das Gespräch mit ihnen sucht.
• Wir erleben das Heranwachsen einer neuen Generation von Christenmenschen aus Bistümern, Landes- und Freikirchen, welche – unabhängig von konfessionellen oder denominationellen Unterschieden – aus einem gemeinsamen Christusbekenntnis heraus miteinander Glauben entdecken, leben und weitergeben.
Wir wollen mit diesem Buch dazu beitragen, dass diese Entwicklung einerseits wahrgenommen und verstärkt, andererseits aber auch gründlich reflektiert und auf ihre innere Substanz überprüft wird. Wie belastbar ist das gemeinsame Fundament in Sachen Mission und Evangelisation? Füllen wir zentrale Begriffe mit gleichen oder zumindest ähnlichen Inhalten oder handelt es sich nur um eine »Äquivokation«, werden dieselben Wörter für letztlich nicht Vereinbares verwendet? Ist das immer noch zu b