Anfang
Kein Zweifel: In den vergangenen zwei Jahren hat sich das Bocacito zum elegantesten Restaurant von Pineta entwickelt.
Die runden Tische bieten viel Platz und stehen in großzügigem Abstand, die Tischdecken hängen tadellos drapiert, wodurch noch deutlicher hervortritt, wie perfekt sie gebügelt sind; ein Verdienst von Aldos Obsession, sie direkt auf dem Tisch bügeln zu lassen.
Die Einrichtung ist erstklassig: Gläser aus Bleikristall, in der Mitte des Tischs frische Tulpen und Teller aus edlem Wedgwood-Porzellan, die zugleich einiges Fassungsvermögen bieten. Als der Vertreter nämlich Tavolone Risottoteller präsentierte, auf die etwa eigroße Portionen gepasst hätten, beschied ihm der Koch: Wissen Sie was, das Spa ist auf der anderen Straßenseite, das hier ist ein Restaurant.
Auch die Speisekarte vermählt auf raffinierte Weise Tradition und Innovation, zwei Schlagwörter, die in einem Restaurant unserer Tage, das etwas auf sich hält, keinesfalls fehlen dürfen, wie auch das Siegel »Produkte aus der Region«; das ist ebenfalls Tavolone zu verdanken, der sich zwei Jahre lang die SendungMasterchef angesehen hat, um schließlich zum Erfinder neuartiger Kreationen zu werden, darunter »Mein kantonesischer Reis« (in Erbsenpüree gekochter Reis mit Würfeln von Prager Schinken, marinierten Eidotterkrümeln und Sojasoßenperlen) sowie das »Umgekehrte Tiramisù« (in gezuckertem Espresso gekochte Maccheroni, die anschließend in Tiramisù-Creme sautiert, mit Schokoladenraspeln bestreut und warm serviert werden). Von Pilade stammt die freundlich hinterfotzige Hypothese, das Umgekehrte Tiramisù sei ein Vorschlag Aldos gewesen, Frucht einer Reflexion über die Manneskraft von Achtzigjährigen, was jedoch nur böses Gerede zu sein scheint.
Die Atmosphäre ist rundum gediegen und vornehm, mit Barockmusik im Hintergrund und Bücherregalen, in denen die größten Meisterwerke der Kochkunst aller Zeiten zur Schau gestellt werden, von Apicius über Nobu bis zu Brillat-Savarin, bei sorgsamer Nichtbeachtung Jamie Olivers. Unter den durchaus elitären Werken stechen einige Titel hervor, die womöglich ein wenig fantastisch anmuten, etwaLecker wie der Penis: Die Rezepte von Moana Pozzi oderDas Kochen des weißenMannes (Untertitel:48 Rezepte aus der kannibalistischen Tradition Zentralafrikas) – ein kleiner Beitrag Massimos, der sich die genannten Bände von einem Buchbinder in San Miniato hat anfertigen lassen.
Auch unter dem Personal sticht ein Element hervor, mit Haaren von einem Rotton, wie er die Männer ihre Ehefrauen vergessen lässt, und zwei Titten von einem Schwung und Umfang, wie sie die Männer ihre Würde vergessen lassen.
Kurzum, ein außerordentliches Lokal, behaglich und erlesen.
Nur zwei Details fallen aus dem Rahmen.
Erstens ein Fernsehgerät, auf dem die Lokalnachrichten laufen, wo just in diesem Augenblick eine außer Rand und Band geratene Menge, alle mit entblößtem Oberkörper, schwarz-blaue Fahnen schwenkt, Menschen, denen es wahrscheinlich nicht nur an Selbstkontrolle fehlt, sondern auch an einem festen Job. Schuld daran ist einzig und allein der AC Pisa, der fünf Spieltage vor Saisonende den Aufstieg in die zweite Liga geschafft hat, zum maßlosen Jubel sonst unauffälliger Teile der Bevölkerung.
Die außer Rand und Band geratene Menge, empfindungslos gegenüber der Eleganz des Lokals, in das ihr Bild übertragen wird, schwenkt nicht nur Banner, sie stimmt auch Sprechgesänge an. Wäre am Fernseher nicht der Ton abgestellt, so würde im Restaurant der unvermeidliche Chor widerhallen: »Von Pisa übers Meer erschallt das Jubellied/wenn’s eines schönen Morgens Livorno nicht mehr gibt«.
Aber zum Glück ist der Fernseher stumm, und der Raum liegt still da.
Oder besser gesagt, er läge still da, wenn nicht in regelmäßigen Abständen aus dem angrenzenden Etablissement der dumpfe Aufprall eines Billardqueues herüberschallte, der gegen eine Kugel stößt, gefolgt von der nicht zu überhörenden Stimme eines alten Mannes namens Ampelio, der mit der gewohnten Liebenswürdigkeit (»Ha, das hat gepasst wie ein Finger im Arsch«) die Qualität des Stoßes kommentier