: Jeong Yu-jeong
: Der gute Sohn Thriller
: Unionsverlag
: 9783293309784
: 1
: CHF 7.80
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Yu-jin ist der perfekte Schüler, der erfolgreiche Schwimmer, der gute Sohn. Doch eines Morgens ist alles anders. Er erwacht von einem metallischen Geruch. Seine Klamotten sind blutverschmiert, rote Fußspuren führen zu seinem Bett. Mit wachsendem Grauen folgt er ihnen ins Untergeschoss, wo er eine entsetzliche Entdeckung macht: Seine eigene Mutter liegt tot im Wohnzimmer, die Kehle sauber durchtrennt. Seine Erinnerungen an den letzten Abend sind wie ausgelöscht. Im Wettlauf gegen die Zeit muss er die bruchstückhaften Bilder des gestrigen Abends zu einer Lösung zusammensetzen. Was ist geschehen? Und wieso scheinen alle Hinweise auf ihn selbst zu deuten?

Jeong Yu-jeong (geboren 1966) wird 'Koreas Stephen King' genannt. Ihre psychologisch ausgefeilten Kriminalromane stehen regelmäßig an der Spitze der Bestsellerliste. Sie arbeitete als Krankenschwester und als Sachverständige der staatlichen Gesundheitsversicherung, bevor sie zu schreiben begann. Als Autorin trat sie an die Öffentlichkeit mit ihrem ersten Roman My Life's Spring Camp. Für ihre Werke erhielt sie 2007 den Segye Youth Literary Award und 2009 den renommierten Segye Ilbo Literary Award.

Wer bin ich?


Hae-jin, bist du das?«

Es war an einem frühen Morgen im Februar vor zehn Jahren. Mutter fuhr mich gerade zum Training, als sie im Auto einen Anruf von Hae-jin bekam.

»Ja, ich bin es.«

Sie schaltete die Freisprecheinrichtung ein. Ich hörte seine weinende und zitternde Stimme. Etwas musste passiert sein. Mutter schien es erraten zu haben, denn sie fragte nicht, was los sei, sondern wo er gerade war.

»Im Krankenhaus. Opa ist gerade gestorben.«

Er erklärte, der diensthabende Arzt habe nach einem volljährigen Angehörigen gefragt, der sich um die Formalitäten nach dem Tod kümmern könnte. Die einzige Erwachsene, die Hae-jin einfiel, war meine Mutter. Sie wollte offensichtlich etwas sagen, blickte dann aber stumm auf ihr Handy. Mehrmals öffnete und schloss sie ihren Mund. Ich hatte den Eindruck, dass sie nach passenden Worten suchte, was sonst kaum vorkam. Bevor sie den Mund aufmachte, hatte sie normalerweise bereits genau überlegt, was sie sagen und nicht sagen wollte. Ungeduldig blickte ich zu ihr und fragte mich, warum sie nicht antwortete. Sie hätte doch einfach sagen können, dass wir kommen.

Los, schnell, wir fahren hin, bedeutete ich ihr lautlos. Sie sah mich kurz an, als ob sie fragen wollte, ob es mir nichts ausmachte, wenn ich das Training versäumte. Ich nickte, dann schaltete sie die Warnblinkanlage ein und wendete quer über zwei Fahrbahnen. Zu Hae-jin sagte sie: »Wir sind in fünf Minuten da.«

Zugedeckt mit einem weißen Laken, lag Hae-jins Großvater auf einer Rollbahre. Hae-jin saß daneben auf dem Boden und sah auf seine Fußspitzen. Er wirkte, als hätte ihn seine Seele verlassen. Er bemerkte uns nicht einmal, als wir direkt vor ihm standen. Erst als Mutter seinen Namen rief, straffte er verschreckt seine Schultern und blickte vage in unsere Richtung. Ich fragte mich besorgt, ob er uns überhaupt sah. Er begrüßte meine Mutter nicht etwa mit einem Dank fürs Kommen, sondern sagte nur: »Tut mir leid.«

Wortlos breitete sie ihre Arme aus, drückte ihn an sich und streichelte sanft seinen Rücken. Ich stand etwas abseits und beobachtete sie gedankenverloren. Sie runzelte die Stirn, und tiefe Furchen bildeten sich zwischen den Augenbrauen. Nase und Wangen röteten sich, und sie schluckte mehrmals krampfhaft. Ihr Gesichtsausdruck war undurchschaubar und fremd. Ob sie so