: Philippe Lançon
: Der Fetzen Roman
: Tropen
: 9783608115369
: 2
: CHF 10.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 551
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Ich war einer von ihnen, aber ich war nicht tot.« Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo hat das Leben von Philippe Lançon unumkehrbar in zwei Hälften gespalten. In eindringlicher Prosa arbeitet Lançon das Erlebte auf und sucht seinen Weg zurück in ein Leben, das keine Normalität mehr kennt. Als sich Philippe Lançon an einem Morgen im Januar spontan entscheidet, in der Redaktion von Charlie Hebdo vorbeizuschauen, gibt es kein Anzeichen dafür, dass sein Leben direkt auf eine Katastrophe zusteuert. Gemeinsam mit seinen Kollegen sitzt er im Konferenzraum, als zwei maskierte Attentäter das Gebäude stürmen. Kurz darauf sind die meisten seiner Freunde tot, ihm selbst wird der Unterkiefer zerschossen. Philippe Lançon wird nicht als Gastdozent nach Princeton gehen, wie es geplant war. Er wird seine Querflöte verschenken, die er nicht mehr spielen kann. Und er wird lange Zeit keine Redaktion mehr betreten. Stattdessen wird er siebzehn Gesichtsoperationen erdulden und versuchen, seine Identität zu rekonstruieren. So, wie das Attentat Frankreich in ein Davor und ein Danach gespalten hat, hat es auch das Leben Philippe Lançons auseinandergerissen. In der fulminanten literarischen Verarbeitung seiner Traumata macht der Autor so eindrucksvoll wie behutsam sichtbar, wie Geist und Körper sich nach einer unsagbaren Erfahrung ihren Weg zurück ins Leben bahnen. Das Buch gewann bereits folgende Preise: Prix Femina Prix Spécial Renaudot Prix des Prix Prix Roman News Stimmen zum Buch: »Ein unumstößliches, vollkommenes Meisterwerk.« Frédéric Beigbeder, Le Figaro Magazine »Sagenhaft ehrlich, unerhört intim, verstörend schön, todtraurig und tröstlich zugleich.« Martina Meister, Welt am Sonntag »Große Literatur« Bernard Pivot, Le Journal du Dimanche »Ein magistrales Journal der Trauer.« Jean Birnbaum, Le Monde des Livres »Ein reicher literarischer Bericht über eine unsagbare Erfahrung.« Olivia de Lamberterie, Elle »Ein seltenes Zeugnis, ebenso faszinierend wie schrecklich.« Alexandra Schwartzbrod, Libération »Eine unglaubliche Empfindsamkeit und Menschlichkeit.« Philippe Labro, Le Point

Philippe Lançon, geboren 1963 in Vanves, schreibt als Journalist und Literaturkritiker für die französische Zeitung »Libération« und das Satiremagazin »Charlie Hebdo«. Am 7. Januar 2015 überlebte er schwerverletzt den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo und verarbeitete seine Erfahrungen literarisch in »Der Fetzen«.

Kapitel 1

Was ihr wollt


Am Vorabend des Attentats war ich mit Nina im Theater. Wir sahen uns in einem Pariser Vorort imThéâtre des Quartiers d’IvryWas ihr wollt an, ein Stück von Shakespeare, das ich nicht kannte beziehungsweise nicht mehr in Erinnerung hatte. Der Regisseur war mit Nina befreundet. Ich war ihm noch nie begegnet und wusste nichts von seiner Arbeit. Nina hatte darauf bestanden, dass ich mitkam. Sie freute sich, dass sie zwischen zwei Menschen, die ihr wichtig waren, einem Regisseur und einem Journalisten, vermitteln konnte. Ich begleitete sie ganz zwanglos. Es war kein Artikel geplant – immer die beste Voraussetzung, um schließlich doch einen zu schreiben, aus purer Begeisterung und Überraschung. In solchen Fällen trifft der frühere junge Theaterbesucher den späteren Journalisten. Nach einem mehr oder minder langen Moment der Verunsicherung, der Schüchternheit und gegenseitigen Annäherung steckt ersterer den anderen mit seiner Spontaneität, Unsicherheit und Unvoreingenommenheit an, bevor er den Saal verlässt, damit der andere mit dem Stift in der Hand wieder arbeiten und – leider – auch ernsthaft werden kann.

Ich bin kein Spezialist, obwohl ich immer gerne ins Theater gegangen bin. Ich habe nie fünf oder sechs Abende pro Woche dort verbracht und halte mich nicht für einen echten Kritiker. Ursprünglich war ich Reporter. Ich bin aus Zufall Kritiker geworden und bin es aus Gewohnheit, vielleicht auch aus Gedankenlosigkeit geblieben. Mithilfe der Kritik konnte ich das, was ich sah, denken – oder zu denken versuchen – und ihm mit dem Schreiben eine ephemere Form verleihen. Sie ist das Ergebnis einer zugleich oberflächlichen (mir fehlen die nötigen Referenzen für ein fundiertes Urteil) und inneren Erfahrung (ich kann nichts lesen oder sehen, ohne es an sehr persönlichen Bildern, Träumereien un