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Die Geliebte
Halblanges kastanienbraunes Haar, das souveräne Lächeln, ein flaschengrünes Kleid, so sah sich Violet auf der Titelseite der Gesellschaftszeitung, die viele Gäste in der Lobby in den Händen hielten. Sie fand ihr Gesicht häufig in Magazinen. Violet war eine Frau, über die man sprach. Anders als auf der Fotografie trug sie heute ein schlichtes Kostüm in Dunkelbraun und erwartete ihren Gast.
Umgeben von vielen Menschen in der großen Eingangshalle des Savoy, fühlte sich Violet doch vollkommen allein. Rund um sie schimmerte poliertes Messing, brach sich das Tageslicht im geschliffenen Glas der Schwingtüren, marmorverkleidete Säulen erhoben sich zu beiden Seiten. Sie war Besitzerin dieses Hotels, sie war Arbeitgeberin und anerkannt in ihrer Zunft, ein Vorbild für Frauen, bewundert von Männern, und war schrecklich allein. Wäre es nach ihren Wünschen gegangen, hätte sie im Kreis von Gleichgesinnten gewirkt und sich in diesemWir mit anderen, in diesem Miteinander bestens aufgehoben gefühlt. Doch die First Lady des Savoy zu sein bedeutete ein anderes Schicksal. In dem traditionsreichen Hotel, unweit der Themse gelegen, war es ihr bestimmt, einen Alltag zu leben, wie sie ihn sonst von Männern kannte. Violet war eine junge Frau, gerade erst dreißig geworden, und so genoss sie es, sich mit einer gleichaltrigen Frau zu treffen, die nichts mit dem Hotel und seinen Zwängen zu tun hatte.
Sie begrüßte ihren japanischen Gast und führte Miss Ayumi in denGolden Pavillon, den größten Speisesaal des Hauses. Es wurde noch kein Lunch serviert, die Flügeltüren schlossen sich hinter ihnen wieder. In der Weite des Saales nahmen sie an einem Tisch nahe des Fensters Platz.
Miss Ayumi war eine außergewöhnlich schöne Frau, sie trug ihr schweres Haar zu einem schlichten Knoten gewunden. Tagsüber zeigte sie sich mit dezentem Make-up, abends hatte Violet sie schon grellweiß geschminkt gesehen. Heute strahlte Ayumi nicht so sehr die reizvolle Unnahbarkeit aus, für die Violet sie bewunderte, sie befand sich in einem beängstigenden Zustand der Starre.
»Soll ich die Polizei verständigen, Miss Ayumi?«, fragte Violet, nachdem die Japanerin ihr geschildert hatte, was vorgefallen war.
»Die Polizei ändert nichts«, antwortete die Japanerin in jenem leichten Ton, der kaum etwas über ihre Gefühle verriet.
»Dieser Mann tut Ihnen Dinge an, die in unserem Land streng bestraft werden.«
»Fujiwara-san ist meinDanna«, entgegnete Ayumi. »Mein Sponsor. An seiner Seite reise ich durch die Welt und biete meine Dienste an.«
»Selbst wenn Mr Fujiwara Ihr angetrauter Ehemann wäre, dürfte er nicht solche … Praktiken von Ihnen verlangen. Ich bin … Verzeihen Sie, ich weiß so wen