KINTSUGI – VOM GLÜCK,
IN SCHERBEN ZU LIEGEN
Etwas Kostbares zerbricht, wird repariert und ist nachher noch schöner als zuvor. Was macht die einzelnen Schritte der alten Kunst Kintsugi aus? Und warum kann das, was dabei mit Vasen oder Teeschalen geschieht, auch für uns selbst bedeutsam sein?
Was genau ist Kintsugi?
Am Anfang geht etwas entzwei: ein Gefäß … oder etwas in unserem Leben
Kintsugi ist eine jahrhundertealte, traditionelle japanische Handwerkskunst, mit der zerbrochene Stücke aus Keramik und Porzellan repariert werden. Kin heißt »Gold« und sugi »verbinden«, Kintsugi lässt sich also mit »Goldverbindung« übersetzen. Dieser Name zeigt schon, dass Gold bei der Reparatur eine wichtige Rolle spielt. Der ganze Vorgang ist vielstufig, er erstreckt sich über einen längeren Zeitraum und er erfordert sehr viel Geduld, Präzision, Sorgfalt und Achtsamkeit. Schauen wir uns anhand eines Beispiels an, wie Kintsugi gelebt wird. Am Beispiel von Herrn Takeshi.
Kintsugi beginnt immer damit, dass etwas kaputtgeht. In diesem Fall ist es die Teeschale von Herrn Takeshi, ein besonders schönes Stück, aus dem er täglich seinen grünen Tee trinkt. Doch dann passiert das Missgeschick: Ein Augenblick der Unachtsamkeit und sie rutscht ihm beim Abwaschen aus den Fingern. Der Schreck ist groß, doch da ist es schon zu spät: Die Schale ist zerbrochen und liegt in Scherben verteilt auf dem Küchenboden.
DER ERSTE SCHRITT: ZERBRECHEN
Da Herr Takeshi sehr an seiner Teeschale hängt, kommt ihm nicht einmal kurz in den Sinn, die Scherben einfach in den Mülleimer zu bugsieren. Als Japaner weiß er, dass es Kintsugi gibt und die Schale keineswegs verloren ist. In einem Fernsehbericht hat er gesehen, dass es gerade sogar einen regelrechten Kintsugi-Boom gibt. Viele Menschen haben Kintsugi als Hobby entdeckt und reparieren und verschönern kaputtgegangene Dinge in Eigenregie mit dieser alten Technik. Es gibt mittlerweile sogar Kintsugi-Kits zu kaufen, die alles enthalten, was man zur Reparatur braucht. So können auch Laien aktiv werden.
Doch da Herr Takeshi von sich selbst glaubt, zwei linke Hände zu haben, beschließt er, auf Nummer sicher zu gehen und es auf die traditionelle Art zu machen: Er sammelt die Scherben ein und bringt sie zum nächsten Kintsugi-Meister, Herrn Musashi, dessen Familie schon seit mehreren Generationen eine Kintsugi-Werkstatt betreibt. Hier ist die Schale in guten Händen, findet Herr Takeshi.
DER ZWEITE SCHRITT: KLEBEN
Meister Musashi freut sich über den neuen Auftrag. Er ist genau nach seinem Geschmack, denn am liebsten repariert er zu Bruch gegangene Stücke, die für seine Kunden einen großen emotionalen Wert haben. So wie die Lieblingsteeschale von Herrn Takeshi. Also sagt er ihm: »Keine Sorge, das kriegen wir schon hin. Geduld müssen Sie aber schon ein wenig haben, denn Kintsugi geht nicht von heute auf morgen. Es braucht seine Zeit.«
Die Arbeit beginnt. Meister Musashi begutachtet zunächst einmal die Scherben. Er überprüft, ob sie vollständig sind und die Bruchkanten sich nahtlos ineinanderfügen. Hierfür muss er ein wenig puzzeln: Welche Scherbe gehört wohin? Meister Musashi hat schon so oft in seinem Leben mit Scherben gearbeitet, dass die kleine Teeschale kein Pro