1. KAPITEL
Die erste Morgensonne tauchte den Himmel über Athen in apricotfarbenes Licht. Es war sieben Uhr früh, an einem Donnerstag, im Mai. Doch Dimitrios Giannakis, der schon lange auf den Beinen war, hatte keinen Blick für die Schönheit des erwachenden Tages.
Das Ärzteteam hätte ihm das Ergebnis der Frühvisite gar nicht mitzuteilen brauchen. Ein Blick in ihre Gesichter sagte ihm, was er wissen musste.
Jetzt saß er in seinem Büro und starrte voller Abscheu auf das Telefon, als erwarte er jede Sekunde, ein giftiges Reptil dahinter hervorkriechen zu sehen, das darauf aus war, es sich in seinem Schoß bequem zu machen …
Was würde er dafür geben, diesen Anruf vermeiden zu können! Doch ihm blieb keine Wahl. Brianna Connely war seine letzte Hoffnung – besser gesagt, Poppys letzte Hoffnung. Und wenn es um seine Tochter ging, dann erlaubte es Dimitrios niemandem – auch nicht seinem Stolz – sich zwischen seine kleine Tochter und das, was sie so verzweifelt benötigte, zu stellen.
Natürlich wusste er, dass es mehr als unwahrscheinlich war, Brianna dazu bewegen zu können, seine Bitte zu erfüllen. Inzwischen war es vier Jahre her, dass sie ihm eindeutig klargemacht hatte, wo ihre Prioritäten lagen: in der schillernden Welt der Mode, zu der nur die Jungen und Schönen Zugang hatten.
Trotzdem musste er es wenigstens versuchen.
Dimitrios war sogar bereit, auf die Knie zu gehen und zu betteln, um Poppy diese letzte Chance zu geben.
Er schaute auf seine Uhr. An Kanadas Westküste musste es etwa neun Uhr abends sein. Eine ebenso passende oder unpassende Zeit wie jede andere für das, was er tun musste. Mit zusammengepresstem Kiefer nahm er das Telefon von der Station und tippte die Nummer von Briannas Penthouse-Apartment ein, wo er sie hoffentlich auch erreichen würde. Zumindest hatte er diese Information aus einer zuverlässigen Quelle erhalten.
Zeit war ein wichtiger Faktor, wollte man Kontakt zu Brianna Connely aufnehmen. Schon morgen konnte sie irgendwo in der Sahara herumschwirren, in Island oder im australischen Outback. Immerhin war sie eines der gefragtesten Models weltweit und galt als extrem ehrgeizig und ambitioniert.
Es klingelte drei Mal, ehe der Anrufbeantworter ansprang und ihn aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Nervös stand er vom Schreibtisch auf und trat ans Fenster. „Hier spricht Dimitrios Giannakis, Brianna. Es ist sehr wichtig, dass ich so bald wie möglich mit dir persönlich spreche und …“
„Dimitrios?“ Ihre dunkle, leicht heisere Stimme mit dem beunruhigend erotischen Timbre streichelte sein Ohr wie ein Kuss.
„Oh gut … du bist also da“, stellte er knapp fest und versuchte, der momentanen Verwirrung Herr zu werden. Wenn er sie nicht so gut kennen würde, hätte er den unterdrückten Laut am anderen Ende der Leitung vielleicht als Bestürzung interpretieren können. Doch selbst, wenn es tatsächlich so war, erholte Brianna sich schneller als er.
„Offensichtlich“, murmelte sie unterkühlt. „Was kann ich für dich tun?“
Vier Jahre lang war er stolz darauf gewesen, sich seine Welt zurückerobert zu haben und auf niemanden mehr angewiesen zu sein. Der Gedanke, vor irgendjemandem zu Kreuze kriechen zu müssen – und dann auch noch vor einer Frau, die er zutiefst verachtete – brachte Dimitrios fast um. Doch das Schicksal hatte ihn an seinem einzig wunden Punkt getroffen … seine Tochter.
Ihretwegen musste er die bittere Pille schlucken und durfte es sich nicht gleich mit dem einzigen Menschen verscherzen, der Poppy helfen konnte. Deshalb bemühte er sich um einen verbindlicheren Ton.
„Wie geht es dir … Brianna?“
Wie geht es dir, meine Schöne? … Ich bin glücklicher, als ich es je für möglich gehalten hätte …
Dimitrios schloss die Augen und schlug die Tür vor den aufkommenden Erinnerungen aus der Vergangenheit energisch zu. Nervös wartete er auf Antwort und hörte ein etwas unsicheres Lachen.
„Wenn man bedenkt, dass wir in den letzten Jahren keine zehn Worte miteinander gewechselt haben, kann ich mir kaum vorstellen, dass dich das aufrichtig interessiert, Dimitrios. Seit dem Tod meiner Schwester haben wir beide keine Berührungspunkte mehr. Also rück einfach raus mit der Sprache. Was willst duwirklich von mir? Ich habe für morgen einen frühen Flug gebucht und brauche meinen Nachtschlaf.“
Er hätte es wissen müssen! Manche Dinge änderten sich niemals.
Und doch stimmte das nicht ganz. Dimitrios kehrte an seinen Schreibtisch zurück und griff nach dem gerahmten Bild seiner Tochter. Das Foto war sechs Monate alt. Da hatte die Krankheit ihr süßes Gesicht noch nicht so blass und verhärmt aussehen lassen wie jetzt.
„Gut“, sagte er mit schwerer Stimme. „Ich habe tatsächlich eine Bitte an dich. Eine sehr große sogar.“
Vor vier Jahren hatte Brianna sich geschworen, nie wieder nach Griechenland zurückzukehren. Und sie hatte diesen Schwur gehalten, bis auf eine Ausnahme … als sie zu Cecilys Beerdigung nach Athen geflogen war und am gleichen Tag wieder zurück.
Und jetzt, keine achtundvierzig Stunden nach Dimitrios Giannakis’ Anruf, stand sie nicht nur auf griechischem Boden, sondern sogar vor seiner Tür, neben seinem Chauffeur, der sie am internation