Tag 198 – Moskau (1) – Faster than Messi
16. Juni 2018
Direkt von der Abi-Feier (ein Bier bekam ich geschnubbelt, immerhin) im Sauseschritt zum Bahnhof, vorher schnell andere Kleider übergeworfen.
Am Bahnsteig in Mainz fiel mir ein Typ ins Auge, der auffallend gut gelaunt war. Hatte zwar kein Bier, dafür aber zwei Frauen am Wickel. Als ihm bei der Abfahrt ein Deutschland-Hut überreicht wurde, war mir klar: „Der fährt auch nach Russland“.
„Na, geht‘s nach Moskau?“
„Ja! Bei dir auch, wie ich sehe.“
Meine vorm Bauch baumelnde FAN-ID war einfach nicht zu übersehen.
Kamen schnell ins Gespräch. Für ein Bier reichte es aber nicht, es gab keinen Speisewagen. Ralf erzählt, dass er bereits seit 1994 regelmäßig mehrere Wochen zu Fußball-Weltmeisterschaften fährt. Sein selbst kreiertes T-Shirt ist übersät mit Eintrittskarten vergangener WM-Spiele. Ganz oben: Das Ticket zum Finale 2014, Deutschland - Argentinien.
„Das Bier holen wir in Moskau nach!“, ruft er mir beim Aussteigen zu.
Am Flughafen Köln/Bonn um drei Uhr in der Nacht außer mir keine Menschenseele. Dachte ich. Aber ganz im Gegenteil: Die Flure waren schwarz vor Leuten.
Vertreibe mir bis zum Boarding um 6 Uhr die Zeit mit Kaffee trinken. Ursprünglich wollte ich auf dem Flug nach Wien ein Nickerchen machen. Hab mir mit dem vielen Koffein aber wohl selbst einen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Müsste theoretisch etwa drei Konterbier trinken, um wieder schön schlapp zu werden.
Zum ersten Mal reingelegt wurde ich auch schon. Dabei hat die Reise noch gar nicht richtig begonnen. Als ich mir eine Brezel kaufte und mehrere Münzen Rückgeld erhielt, bemerkte ich zu spät, dass es sich um „10-Centavos“-Stücke handelte. Die gibt‘s in Deutschland als offizielle Währung sonst eher selten.
Je nachdem, aus welchem Land sie kommen, haben sie umgerechnet immerhin einen Wert zwischen 2 Cent (maximal) und … 0 Cent bis hin zu „nach unten nicht mehr ermittelbar“. Glück gehabt, dass ich nicht noch drauf zahlen musste, als er mir das Geld gab. Halunke! Aber Egal. Ich bin weiter guter Dinge.
Wurde also schon gleich zu Beginn des Trips übers Ohr gehauen. Was soll’s.Auf’sOhr hauen wär mir lieber. Bin mittlerweile nach fast 24 Stunden ohne Schlaf nicht gerade prickelfrisch. Und der Tag beginnt ja erst.
Mittlerweile ist es fünf Uhr morgens.
Schaue mir in der Zwischenzeit ein paar russische Buchstaben an. Kommt mir mittlerweile alles Spanisch vor. Diane hatte es irgendwann ja aufgegeben, mit mir Russisch zu lernen. Schade, aber verstehen kann ich sie. Ich war offenbar ein besonders schwerer Fall.
Im Flughafen Wien beim Umsteigen dann der erste echte Fan-Kontakt: Mexikaner, eine große Gruppe von etwa 30 munteren Gesellen. Bin mittlerweile auch wieder munter und wir freunden uns an. Mir wird schnell klar, dass sie uns beim Spiel in Moskau mal richtig einheizen wollen. Alle trugen entweder wunderschöne Sombreros oder hatten sich die in Mexiko sehr beliebten Wrestling-Masken übergezogen.
Mexikanische Fans sind nicht nur für ihre beeindruckenden Fanmärsche bekannt, sondern auch für … sagen wir mal … recht originelleChoreografien:
Um gegnerische Torhüter zu irritieren, besingen die Anhänger schon mal die gegnerischen Torhüter als „Puto“ (zu Deutsch „Stricher“). Hoffentlich kann unser Neuer kein Spanisch, sonst zerbricht er sich womöglich noch den Kopf. Immerhin hat ihn der Löw nominiert, obwohl er in der Saison so gut wie kein Spiel gemacht hat.
Jedenfalls bekam der mexikanische Verband prompt von der FIFA zur WM in Brasilien eine Strafe aufgebrummt. Was den Fans aber nichts ausmachte, im Gegenteil. Montezumas Rache folgte auf dem Fuße. Dieses Mal zwar nicht in Form der Weiterverbreitung von Durchfall, sondern durchaus humorvoll: Sie skandierten bei ihren Spielen bei der WM 2014 immer wieder lautstark „Pepsi, Pepsi!“. Bekanntlich ist einer der WM-Hauptsponsoren Coca-Cola.
Jedenfalls ein guter Start.
Auf dem Flug von Wien nach Moskau sitztAyan neben mir, ein kleiner untersetzter Inder mittleren Alters mit Halbglatze und vereinzelt sorgfältig in die Stirn gelegten Haaren. Zu einem angedeuteten Seitenscheitel.
Er wohnt in London, erzählt er mir - und hat totales Pech. Aus irgendeinem Grund wurde sein Flug von London nach Frankfurt tags zuvor gestrichen. Er verpasste damit auch den Anschluss nach Moskau. Eigentlich nicht so drama