I
Anhaltend und schrill hallte der Schrei von den Wänden und Marmorsäulen des Atriums wider, eine Folter für alle, die ihn ertragen mussten.
Titus Flavius Vespasianus biss die Zähne zusammen, entschlossen, sich von dem mitleiderregenden Klagelaut nicht erweichen zu lassen, der an- und abschwoll und gelegentlich von einem heiseren Atemzug unterbrochen wurde, ehe er mit neuer Kraft einsetzte. Das Leiden, von dem er zeugte, musste erduldet werden. Vespasian wusste, wenn er dazu nicht fähig wäre, würde er diesen Willenskrieg verlieren – und das konnte er sich nicht leisten.
Die Kakophonie der Verzweiflung ging von dem Bündel in den Armen seiner Frau aus, das er im flackernden Schein des Holzfeuers in der Feuerstelle des Atriums strampeln sah. Vespasian verkrampfte sich, dann hob er den Kopf und winkelte den linken Arm vor dem Körper an, während sein Leibsklave die Toga um seine muskulöse, stämmige Gestalt drapierte. Titus, Vespasians elfjähriger Sohn, beobachtete die Prozedur.
Als das schwere wollene Gewand endlich zu Vespasians Zufriedenheit gerichtet war, schien noch immer kein Ende der Schreie in Sicht. Er schlüpfte in die Senatorenschuhe aus rotem Leder, die sein Sklave ihm hinhielt. «Die Fersen, Hormus.»
Hormus fuhr mit dem Finger nacheinander um beide Fersen, bis die Schuhe seines Herrn richtig saßen, dann richtete er sich auf und zog sich ehrerbietig zurück. Titus trat vor seinen Vater hin.
Vespasian zwang sich, ruhig zu bleiben, während der Lärm einen neuen Höhepunkt erreichte. Er musterte Titus einen Moment. «Kommt der Kaiser noch immer jeden Tag, um sich zu vergewissern, dass sein Sohn Fortschritte macht?»
«An den meisten Tagen, Vater. Er stellt mir und den anderen Jungen auch Fragen, genau wie Britannicus.»
Ein besonders schriller Schrei ließ Vespasian zusammenzucken, doch er bemühte sich, ihn zu ignorieren. «Was geschieht, wenn ihr eine falsche Antwort gebt?»
«Dann schlägt Sosibius uns, sobald Claudius wieder gegangen ist.»
Vespasian ließ sich vor seinem Sohn nicht anmerken, dass er keine sonderlich hohe Meinung von demGrammaticus hatte. Sosibius’ falsche Anschuldigungen, angestiftet von der Kaiserin Messalina, hatten vor drei Jahren eine Ereigniskette in Gang gesetzt, aufgrund deren Vespasian falsches Zeugnis gegen den vormaligen Konsul Asiaticus hatte ablegen müssen, um seinen Bruder Sabinus zu schützen. Doch Asiaticus hatte sich über das Grab hinaus gerächt und Vespasian dazu als williges Werkzeug benutzt. Messalina war hingerichtet worden, und Vespasian war zugegen gewesen, während sie ihren letzten schrillen Schrei, ihren letzten Fluch ausgestoßen hatte. Sosibius hingegen war noch immer im Amt, nachdem Vespasians Falschaussage seine erfundenen Anschuldigungen gestützt hatte.
«Schlägt er euch oft?»
Titus’ Gesicht verhärtete sich. Sein Ausdruck war dem von Vespasian in angespannten Situationen verblüffend ähnlich. Die breite Nase des Knaben war weniger ausgeprägt, das Kinn nicht so kräftig, seine Ohrläppchen waren nicht so lang, und er hatte einen dichten Schopf, wo sein Vater nur noch einen Haarkranz um den kahlen Scheitel hatte. Doch Titus war unverkennbar sein Sohn. «Ja, Vater. Aber Britannicus sagt, das tut er, weil seine Stiefmutter, die Kaiserin, es befohlen hat.»
«Dann verschaffe Agrippina das Vergnügen nicht und sorge dafür, dass Sosibius heute keinen Grund bekommt, dich zu schlagen.»
«Wenn doch, wird es das letzte Mal sein. Britannicus hat eine Idee, wie er Sosibius’ Entlassung erreichen kann und wie er zugleich dadurch seinen Stiefbruder beleidigt.»
Vespasian zauste Titus das Haar. «Lass dich nicht in eine Fehde zwisch